Südsudan: Flucht oder Tod

Meldung vom 29.11.2016

Bislang war es im Süden vom Südsudan vergleichsweise friedlich, während der Bürgerkrieg in anderen Teilen des Landes tobte. Doch jetzt wird auch diese Region mit blutiger Gewalt überzogen: Brutale ethnisch motivierte Kämpfe sind über die Bevölkerung dort hereingebrochen. Tausende rennen täglich um ihr Leben – ihr Ziel ist Uganda.

Verkohlte Leichen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Kleine Kinder in Stücke gehauen. Häuser in Schutt und Asche gelegt. Diese alptraumhaften Bilder haben Einwohner von Yei in soziale Netzwerke eingestellt. Das Städtchen im Süden vom Südsudan gehörte lange zu den wenigen friedlichen Oasen seit Beginn des südsudanesischen Bürgerkriegs vor knapp drei Jahren. Aber jetzt wurde der Handelsknotenpunkt nahe den Grenzen zu Kongo und Uganda auch in den Strudel des Krieges gezogen.

Die Menschen sind meist von der Regierungsarmee SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) ermordet worden. Die Regierung von Präsident Salva Kiir geht nämlich davon aus, dass die Einwohner von Equatoria, dem südlichen Landesteil, dem ehemaligen Vizepräsident und Rebellenführer Riek Machar anhängen. Seit Machar im Juli 2016 aus dem Südsudan floh, hat sich ein Teil seiner Kämpfer in Equatoria in Sicherheit gebracht. Die Armee folgte ihnen.

Vorige Woche bestätigte Yongule Athanasius, Innenminister des Bundesstaates Yei River, dass es zu einem Massaker gekommen ist, bei dem die SPLA ein Dutzend Menschen tötete. Der Minister versicherte, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Die Einwohner von Yei halten das für eine faustdicke Lüge. „Soldaten werden nie bestraft“, meint eine junge Frau am Telefon. „Die können machen, was sie wollen. Die Regierung in der Hauptstadt Juba schützt sie alle.“

Einige Tage zuvor nahm ein anderer lokaler Regierungsfunktionär Abschied aus seinem Dienst. In seinem Rücktrittsschreiben, das Journalisten zugespielt wurde, prangerte er an, dass Plünderungen von Kirchen, Abfackeln von Märkten und Massaker an Zivilisten durch SPLA-Soldaten geschehen sind. „Meine Leute werden getötet und gefoltert“, berichtete Toti Jacob.

Inzwischen formieren junge Equatorianer eine eigene Bürgerwehr. Sie üben Vergeltung für die Opfer der Armee. Vor kurzem stoppte eine Miliz einen Bus. Die Bewaffneten trennten die Dinka von den anderen und richteten sie auf der Stelle hin. Die Dinka sind die führende Kraft in der SPLA und der Regierung von Salva Kiir.

Adama Dieng, der UN-Sonderbeauftragte für Genozid, machte sich kürzlich in Equatoria selbst ein Bild von der Lage und erklärte danach, dass „in dem Klima von Intoleranz und Gewalt ein Potenzial für Völkermord existiert.“ Er sah, wie Familien ihre Sachen schulterten und am Straßenrand darauf warteten, dass sie jemand ins Nachbarland Uganda mitnimmt. Dort haben mittlerweile über eine halbe Million Flüchtlinge aus dem Südsudan Schutz gesucht, jeden Tag werden es rund 2.000 mehr.

Die Equatorianer, ein geografischer Sammelbegriff für mehrere Dutzend kleine ethnische Stämme, stehen hinter keiner der großen Bürgerkriegsparteien Südsudans. Einige Gruppen haben sich mit der Regierung von Salva Kiir abgefunden, aber viele andere unterstützen die Sache der Rebellen von Riek Machar. Sie setzen sich aktiv gegen die undisziplinierten Truppen der Regierung zur Wehr.

Rückendeckung bekommen die Dinka-Regierungssoldaten von einer Dinka-Miliz mit dem Namen Mathiang Anyoor, die einen Pakt geschlossen hat mit Präsident Kiir und dem Stabschef der Armee, Paul Malong. Nicht nur die Bevölkerung, auch lokale Regierungsfunktionäre und UN-Vertreter berichten, dass diese Miliz Gräueltaten unter der Bevölkerung anrichtet.

Equatoria mag im Südsudan eine Region von geringer politischer Bedeutung sein, nicht aber wirtschaftlich. Dort verläuft die Durchgangsroute für die Importe aus Ostafrika und das Land hat fruchtbare Erde für die Landwirtschaft. Aber der Warentransport ist wegen des Sicherheitsrisikos weniger geworden, und durch die Massenflucht nach Uganda liegen die Äcker brach. Darauf weidet jetzt Vieh von Dinka-Hirten, die unter dem Schutz ihrer Miliz aus ihren Gebieten weiter nördlich nach Süden gewandert sind.

Die humanitäre Lage in ganz Südsudan spitzt sich immer weiter zu. Drei der elf Millionen Südsudanesen sind bereits auf der Flucht, vier Millionen leiden Hunger, schätzen UN-Hilfswerke. Der UN-Sicherheitsrat gab am Freitag (25.11.2016) bekannt, er sei über den jüngsten Ausbruch ethnisch motivierter Verbrechen „hoch besorgt“, und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte das „Risiko massiver Gräueltaten infolge des abrupten Anstiegs von Hassrhetorik und ethnischer Anstachelung in den letzten Wochen“. Dagegen könnten die 14.000 UN-Blauhelme nichts ausrichten.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de