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Afghanistan: Straßenkunst als politische Botschaft

 
Meldung vom 04.01.2017

Großflächige Bilder verschönern neuerdings kahle, hässliche und zerschossene Wände in Kabul. Man kann sie die Wegbereiter der Straßenkunst in Afghanistan nennen: Mit ihren großformatigen Wandbildern verleihen die „Kunstkönige“ dem hochgesicherten Kabul Farbtupfer – und üben Kritik an den Mächtigen und Kriegsherren.

Langsam wird unter den Händen des Künstlers das Porträt eines Mädchens auf der bröckeligen Lehmziegelwand erkennbar. Ein rundes, lächelndes Kindergesicht bildet sich ab, ein Kopftuch, Schatten und Flächen in Rot, Grün, Weiß.

Das Mädchen heißt Mursal, es ist 12 Jahre alt. Vor ein paar Jahren war Mursal nur knapp einem schweren Anschlag auf das Hauptquartier der NATO in der afghanischen Hauptstadt Kabul entkommen. Mursal war damals ein Straßenkind und hat Armbändchen und Schals an die Ausländer veräußert, die bei der NATO ein und aus gingen. Heute stellt sie sich als Modell für die neueste Wandmalerei der „ArtLords“ zur Verfügung, der Kunstkönige von Kabul, Schöpfer der politischen Straßenkunst in Afghanistan.

Die Botschaft von Mursals Porträt wendet sich an alle, die das Land ohne Rücksicht auf Verluste in Gewalt und Chaos stürzen. Gemeint sind islamistische Taliban, Kriegsherren und Milizen. Schaut euch das an, dies sind die Menschen, die ihr in den Tod reißt – ihr ermordet, verwundet und traumatisiert Kinder, die Zukunft unseres Landes. Um 15 Prozent ist die Zahl der getöteten und verletzten Kinder allein vom vergangenen auf dieses Jahr gewachsen, lautet es in UN-Berichten.

„So viele Opfer, ständig, überall – man gewöhnt sich so schnell daran. Aber ich will mich nicht gewöhnen“, meint Omaid Scharifi, der Urheber der Kunstkönige, ein junger Mann in farbverschmierten Jeans und blauem T-Shirt. Eine seiner Absichten sei es, sagt er, „die Opfer des Krieges und des Unrechts in Afghanistan aus den Statistiken herauszuholen“ – den Zahlen eine Identität und ein Gesicht zu verleihen.

Sieben Kinder waren insgesamt in der Explosion im Jahr 2012 gestorben – auch zwei von Mursals Schwestern, Khurschid, 17, und Parwana, 13. Ihre Namen kennt schon keiner mehr. Nun prangen sie für jeden sichtbar auf einer Liste neben Mursals Porträt.

Bis vor kurzem war Omaid Scharifi als Manager bei einem großen Zivilgesellschaftsprogramm tätig. Dann hat er den Job aufgegeben, um die Kunstkönige aufzubauen. Die hatte er schon im Sommer 2014 mit einigen Freunden ins Leben gerufen – „damals erstmal nur, um all die hässlichen Sprengschutzwände zu verschönern“, erzählt Scharifi.

Denn der Krieg mit den radikalislamischen Taliban, der immer grausamere Züge annimmt, hat Kabul zur Bastion gemacht. In der Innenstadt wird der Blick an jeder Ecke begrenzt durch Stacheldraht, Sandsäcke, mit Kies gefüllte Drahtkörbe, die Hescos genannt werden und Kugeln stoppen, und eben jene dreimeterhohen Sprengmauern gegen Autobomben, die zur Lieblingsfläche der Kunstkönige geworden sind. Rund 50 großformatige „ArtLord“-Bilder zieren heute Kabul. Die meisten kann man im Zentrum bewundern, wo Politiker, Kriegsherren oder Militär jeden Tag mit ihnen konfrontiert werden.

Der Mut der Künstler wächst: Ihre Botschaften sind mit der Zeit kritischer, politischer geworden. „Wir wollen die Stadt verschönern – aber auch die Menschen zum Denken und Diskutieren anregen“, betont Omaid Scharifi. Ein Wandbild aus dem November 2016 setzt sich kritisch mit Kinderehen auseinander. Abgebildet ist ein Mädchen mit einem Buch in der Hand, darunter kann man lesen: „Dies ist die Zeit für meine Bildung, nicht meine Ehe“. Nahe dem Ort, wo im März 2015 ein Mob eine junge Frau grausam gelyncht hatte, prangt nun ein Bild von einer Gruppe Männer mit der Zeile „Ein tapferer Mann respektiert Frauen“.

Eine ältere Serie umkreist das Thema der allgegenwärtigen Korruption in Afghanistan. „Ich sehe Dich“, kann man unter riesigen Augen entziffern, die quer über das Tor einer Regierungsbehörde verlaufen. Für diese Kampagne haben die Kunstkönige Anfang Dezember 2016 in Wien einen internationalen Preis zugesprochen bekommen, samt Lobrede von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.

Viele wollen die Kunstkönige jetzt unterstützen, die UN, internationale Nichtregierungsorganisationen, Botschaften. Aber die nächste Etappe der Kunstkönige ist nicht die Welt, sondern die afghanische Provinz. Bald sind die Wände in Kandahar an der Reihe.


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Treffen mit Kabuls ArtLords (In Englisch)




Quelle: „Braunschweiger Zeitung“, www.braunschweiger-zeitung.de

Schlagwörter: Afghanistan, Straßenkunst, Wandbilder, Graffitti, Kritik, Taliban, Warlords, Politiker, Kriegsherren, Krieg, NATO, Attentat, Bombe, Kinderehe, Korruption, Kunst, Künstler, ArtLords, Kabul, Wände, UN, Ban Ki Moon