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Afghanistan: Die mutige Dirigentin

Meldung vom 11.01.2017

Diese alte afghanische Melodie soll an den Duft von Apfelblüten erinnern. Und tatsächlich scheinen alle Musikerinnen beim Spielen aufzublühen, allen voran ihre junge Dirigentin. Die 18-jährige Negin taucht in eine andere Welt ein, wenn sie mit dem Taktstock das Orchester anführt: „Wenn ich vorne stehe und dirigiere, kommen mir oft die Tränen. So sehr bewegt es mich, dass ich dieses Vorrecht habe. Deshalb strenge ich mich auch sehr an.“

Negin lässt sich nicht schnell unterkriegen. Sonst hätte sie sich auch nicht behauptet gegen ihre Sippe im Nordosten Afghanistans, da, wo die Taliban nach wie vor ihre grausame Herrschaft ausüben.

Nach der Orchesterprobe spielt Negin verschiedene Schlaginstrumente. Eigentlich wollte sie Pianistin werden, aber wegen einer Verletzung musste sie einen anderen Weg einschlagen – eine eher kleine Herausforderung nach allem, was sie durchlitten hat: „Mehrere meiner Onkel haben gedroht, mich umzubringen, wenn ich weiter dirigiere und Interviews gebe. Da, wo ich herkomme, dürfen Mädchen nicht einmal zur Schule gehen und schon gar nicht musizieren. Ja, ich lebe gefährlich.“

Über 200 Studenten studieren am Nationalinstitut für Musik, ein Viertel davon Frauen. Sie werden von den besten Musiklehrern des Landes unterrichtet – und einigen Dozenten aus dem Ausland, wie Robin. Sie hatte vor kurzem noch Cello in einer Rockband gespielt und allen Versuchen ihrer Familie in den USA, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, getrotzt: „Vor einigen Monaten gab es hier in der Nähe einen Anschlag mit vielen Toten. Ich bin mir der Gefahr bewusst – aber auch des Privilegs. Die Mädchen hier sind so hungrig darauf, sich kreativ auszudrücken.“

Der Gründer und Direktor des Instituts wäre fast selbst einem Anschlag zum Opfer gefallen, er kam schwer verletzt davon. Fast jeden Tag erhält er Morddrohungen, die auch seine Schützlinge betreffen. Er arbeitet trotzdem weiter. Ahmad Sarmast, der Direktor, sagt: „Diese Nation wird nicht aufgeben und sich nicht wieder den Taliban unterwerfen. Und auch ich könnte meine Studenten nie im Stich lassen aus Selbstschutz.“

Die Mittagspause hat begonnen. Alles wirkt gerade friedlich – hier, mitten in Kabul, wo der Terror jederzeit zuschlagen kann. Der Direktor wünscht sich, dass junge Frauen wie Negin dem Land eine bessere Zukunft bescheren: „Negin steht für die neue Generation, die trotz aller Probleme für ihre Rechte kämpft.“

Viele der Studentinnen sind ganz in der Nähe des Instituts in einem sogenannten Waisenhaus untergekommen. Das heißt nicht so, weil die Eltern gestorben sind, sondern umgekehrt: die Kinder werden von manchen Eltern für tot erklärt, denn sie seien abgekommen vom rechten Weg. Gualalai und Huma erinnern sich oft an ihr Zuhause. Sie stammen aus derselben Region wie Negin, die ihr Vorbild ist. Gulalai Nuristani meint: „Ich würde gerne in mein Dorf zurückkehren und den Mädchen dort das Musizieren beibringen.“ Huma Rahimi sieht das abgeklärter: „Aber jetzt ist das unmöglich, wegen der Taliban, die in unserer Heimat sehr aktiv sind.“

Alle Mädchen haben sich dazu entschieden, Afghanistan nicht zu verlassen, sondern beim Aufbau mit anzupacken. Auch wenn internationale Anerkennung natürlich gut für ihr Selbstbewusstsein ist. Immer wieder schauen sie sich die Aufnahme ihres eigenen Konzerts an, vor drei Jahren in Washington vor auserwähltem Publikum. In der Mitte des Orchesters befindet sich Negin: Damals spielte sie, das Multitalent, ein afghanisches Saiteninstrument.

In Kabul fühlt Negin sich nie ganz sicher, vor allem nicht, wenn sie den Heimweg antritt. Bis vor kurzem hat sie selbst noch in dem Waisenhaus gelebt. Doch seit ein paar Monaten ist sie zum Stadtrand umgezogen – und kann endlich wieder zusammen mit ihrer Familie leben, die sie jahrelang vermisst hat, weil in ihrer Heimat ihr Leben bedroht war. Nun sind sie ihr nachgezogen, ihre acht Geschwister, ihre Mutter und ihr Vater, der sich als Leibwächter verdingt und deshalb weiß, in welcher Gefahr seine Tochter täglich schwebt. Vater Ahmed Nuristani gibt zu: „Jeden Tag mache ich mir Sorgen, wenn sie aus dem Haus geht. Die Lage ist so unsicher. Aber die Regierung schützt sie nicht. Dabei ist sie doch die erste Frau Afghanistans, die dirigiert.“

An diesem Aufstieg ist auch er ein wenig beteiligt: Als Negin vor acht Jahren unbedingt zur Schule gehen wollte, ermöglichte er ihr einen Schulbesuch in Kabul – und er gab auch seine Einwilligung dazu, dass sie Musik studierte. Negin Khpalwak weiß das: „Ich habe meinem Vater erst Bescheid gesagt, als ich die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. 'Ist in Ordnung', sagte er, 'mach, was gut für dich ist.' Meine Mutter war dagegen. Sie sagte, das ist nichts für Mädchen.“

Die Mutter will auf keinem Foto erscheinen. Aber Negin erklärt, auch sie sei inzwischen ein wenig stolz auf ihre Älteste, die der ganzen Welt als Vorbild dient, was afghanische Frauen leisten können, wenn man sie in die Freiheit entlässt.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de

Schlagwörter: Afghanistan, Frauen, Bildung, Musik, Kabul, Taliban, Terror, Frauenrolle, Gender, Anschläge, Dirigentin, dirigieren, Orchester, Jugend, Zukunft, Aufbau