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Afghanistan: Massen-Rückkehr aus Pakistan kaum zu bewältigen

Meldung vom 16.01.2017

Zehntausende afghanische Flüchtlinge verlassen derzeit Pakistan und den Iran, um wieder in ihrer Heimat Fuß zu fassen. Experten sagen voraus, dass dieser Massen-Exodus das Land überlasten könnte. Sie verlangen, dass die internationale Gemeinschaft Afghanistan dabei unterstützt, die Menschen aufzunehmen, sonst müsse man in dem Land mit einer gefährlichen Destabilisierung rechnen.

Regelmäßig wird man im pakistanischen Fernsehen über Grenzzwischenfälle mit Afghanistan informiert. Beide Seiten klagen sich gegenseitig an, Öl ins Feuer zu gießen. Immer wieder kommen Soldaten bei den Gefechten ums Leben. Verschärft wird die Feindschaft durch den Vorwurf Kabuls, Pakistan gebe den Taliban Unterschlupf im Land, statte sie zudem noch aus und schwäche so Afghanistan.

Immer wieder hat Pakistan die Grenze bei Thorcham wochenlang dicht gemacht, wo sich sonst ein reger Verkehr an Waren und Menschen abspielt. Ein Pakistani freut sich über die Grenzschließung: „Es kommen sonst 30.000 bis 40.000 Menschen täglich rüber. Jetzt hat dieser illegale Grenzverkehr ein Ende. Afghanen können jetzt nicht mehr illegal einwandern. Das ist ein wichtiger Schritt, den die pakistanische Regierung ergriffen hat.“

Rund 1,5 Millionen registrierte afghanische Flüchtlinge sind in Pakistan untergekommen. Dazu eine weitere Million Afghanen ohne Registrierung. Seit Monaten, so Berichte, würden Afghanen von Sicherheitskräften unter Druck gesetzt. Womöglich auch, weil Pakistan selbst dieser Herausforderung nicht mehr gerecht werden kann. Umgekehrt beschweren sich Afghanen über schlechte Behandlung, kritisieren, dass sie als Sündenböcke herhalten müssten.

„Wir haben Schulen, Kliniken und Trainingscenter für Schneiderinnen und Stickerinnen. Eine Mädchenschule und drei Kliniken für medizinische Versorgung. Und ein Großteil der afghanischen Flüchtlinge muss das Land verlassen. Und das ausgerechnet im Winter, wenn es sehr, sehr kalt ist. Wir haben einen Ausweis und unsere Registrierungsunterlagen. Die Genehmigung endete im Dezember 2016. Jetzt hat man verlängert auf März 2017. Aber nicht alle haben diese Karte.“ Das sagt Nadia Karim, sie kümmert sich mit dem Afghanischen Frauenverein um mehrere Hilfsprojekte in Pakistan.

Hamid Sidig, bis kürzlich Botschafter seines Landes in Berlin, glaubt, hier spiele sich eine politische Intrige auf Kosten der Menschen ab: „Das ist ein Massen-Exodus. Die Zahlen sind über 700.000. Das ist auch eine riesengroße Belastung für Afghanistan. Wir haben keine Wohnungen und nicht einmal ein Zelt für sie. Und es besteht die realistische Gefahr, dass sich Extremisten unter sie mischen. Sie wissen schon, von manchen terroristischen Organisationen.“

Neben dieser Befürchtung hegt man auch wirtschaftliche Sorgen. Auch die Wirtschaft könnte durch den Rückkehrer-Andrang einknicken, so Henning Plate, Referatsleiter Afghanistan/Pakistan beim Bundesministerium für Entwicklung. „Es ist so, dass jedes Jahr 400.000 bis 500.000 junge Afghanen auf den Arbeitsmarkt drängen und nicht alle eine adäquate Beschäftigung finden. Es hat sicherlich das Potenzial, zur Destabilisierung des Landes beizutragen.“

Plate hat die Region gerade selbst besucht. Er hat mehrere Gründe für den Exodus herausgefunden, manche auf den ersten Blick widersprüchlich: Ein Grund sei, dass die pakistanische Regierung die Grenze für den kleinen Grenzverkehr Mitte des Jahres abgeriegelt hat. Da wurden früher 30.000 bis 40.000 Grenzübertritte pro Tag gezählt – ohne Kontrollen. Dieses Einfallstor sei jetzt geschlossen. Zweitens wurden die Menschen mit Rückkehrprämien geködert, die stark erhöht wurden. „Vom UNHCR, von internationaler Seite. Das sind sozusagen Starthilfen. Da bekommen die 400 Dollar. Und der dritte Grund, die afghanische Regierung hat ihre eigenen Bürger, die in Pakistan leben, zur Rückkehr eingeladen, um beim Wiederaufbau zu helfen. Sie haben ihnen Grundstücke versprochen.“

Die Regierung in Kabul kann aber im besten Fall Land für einige wenige Rückkehrer bereitstellen. Und die Starthilfen von 400 US-Dollar pro Kopf, bei einer zehnköpfigen Familie immerhin 4.000 Dollar, zahlt die internationale Gemeinschaft. Hilfsorganisationen geben allerdings zu bedenken, dass das Geld vorne und hinten nicht reiche, um eine menschenwürdige Existenz aufzubauen.

Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network, sagt: „Es ist einfach eine riesige Zusatzbelastung für ein sozialökonomisches System, das auf dem Zahnfleisch geht und wo das meiste nicht funktioniert. Und was die Binnenflüchtlinge betrifft, davon gibt es auch noch einmal 1,2 bis 1,4 Millionen.“

In Lagern zehn Kilometer vor Kabul müssen Menschen und Kinder den anstehenden Winter barfuß überleben, mit aufgeplatzten Füßen und Erfrierungen. Sie sind oft ohne Ofen und fließend Wasser, so Nadia Karim. „Viele leben unter Zelten, kommen bei Verwandten unter. Die Situation ist dramatisch und katastrophal. Sie können nicht ewig bei den Verwandten leben. Einen Monat, okay, aber nicht sechs Monate, weil die Verwandten ja selbst auch sehr arm sind.“

Wir in Europa müssten eine andere Sichtweise entwickeln, sagt Alexey Yusupov, Afghanistan-Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Ich glaube, eigentlich ist die Zahl der Rückkehrer aus Europa – angesichts der unglaublich hohen Zahl der Rückkehrer aus Pakistan, die aufgrund der veränderten Politik in Pakistan jeden Tag über die Grenzen gehen, und aus dem Iran, von wo in der letzten Woche über 10.000 zurückgekehrt sind – angesichts dieser Zahlen sind die aus Europa Abgeschobenen und Zurückgekehrten für Kabul eigentlich nicht so wichtig. Kabul bräuchte Unterstützung, um mit diesen Menschen umzugehen, die aus den Nachbarländern zurückkehren. Es ist jetzt historisch das Land, dass die meisten afghanischen Flüchtlinge aufnimmt.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Deutschlandfunk“, dradio.de

Schlagwörter: Afghanistan, Exodus, Rückkehrer, Flüchtlinge, Pakistan, Druck, Massen-Andrang, Arbeitslosigkeit, Grenzübergang, Abfindung, Thorcham, Rückkehrprämien, Grenzübertritte, Kabul, Winter, Flüchtlingslager, Wirtschaft, Destabilisierung