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Somalia: Warten auf den Wasserwagen

 
Meldung vom 11.04.2017

Die Dürre in Ostafrika zieht sich hin. Hunderttausende Menschen stehen in einem Kampf um Leben und Tod. Besonders Somaliland leidet unter der extremen Trockenheit, es ist eines der ärmsten Länder der Welt. Über die Hälfte des Viehs ist bereits gestorben. Nun stehen die Menschen kurz vom Hungertod.

Das Gesicht ist verhärmt, der Blick ihrer Augen verzweifelt. Die Mutter hat kaum mehr Kraft, ihren abgemagerten Sohn zu tragen. „Er heißt Abdi“, erklärt sie. Abdi wird von Husten gequält. Seine Augen erscheinen glasig, die Beine sind spindeldürr. Seine Kopfhaut ist von grauen Flecken entstellt. „Weil er zu wenig isst“, weiß Khadra (23). Seit Monaten muss Abdi hungern. Die Erde erbringt keinen Ertrag mehr. Die alptraumhaften Klimazustände kosten zuerst das Leben der Tiere, dann das der Menschen.

Khadra, ihre vier Kinder und ihr Mann Ahmed (40) haben sich im Osten der Republik Somalia niedergelassen. Die vielleicht schlimmste Dürre aller Zeiten plagt das Land am Horn von Afrika. Seit Monaten haben die Menschen hier keinen einzigen Regentropfen gesehen, insgesamt konnte Somalia nur ein Drittel der üblichen Niederschlagsmenge in diesem Jahr verzeichnen.

3,5 Millionen Menschen können ohne Hilfe von außen nicht mehr überleben: dabei geht es um jene 75 Prozent der Bevölkerung, deren Existenzgrundlage ihr Vieh ist. Das verendet gerade kläglich. Mitte letzten Jahres hütete Khadra noch 50 Schafe und 50 Ziegen, davon sind jetzt noch je zehn am Leben. Die anderen sind an Durst eingegangen.

Der Himmel ist stahlblau, nirgendwo eine Wolke in Sicht, es ist brütend heiß. Windhosen bahnen sich irre Wege durch den trockenen Sand. Äste wirbeln über den Boden, es sind die Skelette abgestorbener Bäume. Die Reste eines toten Esels liegen auf dem Staub, von Geiern zerfressen. Dahinter liegt der verweste Kadaver einer Ziege. Nicht nur Haustiere verenden, sondern der rissige Boden ist auch von toten Kamelen übersät. Ein schlechtes Omen.

Denn in Somalia gibt es eine Faustregel: Wenn sogar die Kamele verdursten, ist die Lage todernst. Sterben die Kamele, sind bald die Menschen an der Reihe. Vieh ist Kapital. Wächst die Herde, sind die Menschen der Steppe wohlhabend. Stirbt sie, schlittern die Nomaden in Elend und Hungersnot.

Aus Geißenmilch konnten Khadras Kinder Eiweiß und Mineralien beziehen. Fleisch und Butter gaben ihnen die nötigen Kalorien. Früher handelte ihr Mann mit Ziegen auf dem Markt, konnte mit dem Erlös Butter und Getreide erstehen. Seit Monaten hat er keine Tiere mehr an den Mann bringen können. „Sie sind zu dünn, niemand will sie.“

Deshalb muss eine halbe Schüssel Reis pro Tag ausreichen. „Meine Kinder sind schwach“, meint Khadra. Krankheiten schwächen sie zusätzlich. Medikamente gibt es hier nicht, deshalb verkocht sie Wurzeln zu einem Trank, der heilen soll. Und sie selbst, nimmt sie genug Nahrung zu sich? „Haben Sie Kinder?“, fragt sie den Journalist. „Ob schwarz oder weiß, wir Eltern sind überall gleich: Wir essen erst, wenn die Kinder satt sind.“ Satt ist keines ihrer Kinder.

Internationale Hilfsorganisationen bezahlen Lastwagen, die Wasser in Dörfer transportieren. Es ist kurz vor neun Uhr, die Sonne ist bereits heiß und brennend in Waridad, einem Dorf im Osten von Somaliland. Rund 2.000 Familien versuchen hier zu überleben, 12.000 Menschen. Seit zwei Wochen ist jegliche Wasserquelle in dem Ort versiegt, alle Brunnen sind ausgetrocknet. Von der zwei Stunden entfernten Stadt Burao bringen seither Lastwagen das kostbare Nass ins Dorf. Heute soll der Tankwagen um neun Uhr eintreffen. Knaben in Shorts und Mädchen in bunten Kleidern schieben geduldig Schubkarren vor sich her, beladen mit gelben Kanistern. Die Jungs rennen schließlich doch noch, um sich einen Platz ganz vorne in der Schlange zu sichern.

Zuvorderst haben sich Nimo (12), Muna (13) und Fardus (10) eingereiht. Sie schaffen es trotz des Wasserholens immer noch, die Schule zu besuchen und sind gute Freundinnen. Sie berichten von den Tieren, die ihren Eltern wegsterben. Sie erzählen, dass sie nur noch Reis und Spaghetti zu sich nehmen. Muna hat sich die Fingernägel orange bemalt. „Mir fehlen Butter und Milch.“ Oft müsse sie hungrig einschlafen. „Früher hatte ich nie Hunger.“

Und doch haben die drei Mädchen immer noch Zukunftsträume. Nimo liebt Mathe, sie will Lehrerin werden. Wie Muna, die gerne Geschichten und Gedichte verfasst. Die Jüngste der drei, Fardus, ist sehr ernst. Sie möchte Ärztin werden. „Damit ich die vielen Kranken heilen kann.“ Völlig unvermittelt sagt das zehnjährige Mädchen, was eine Zehnjährige nirgends auf der Welt noch nicht einmal denken sollte: „Wenn‘s nicht bald regnet, sterben wir.“

Ein drahtiger Kerl lässt immer wieder den Eimer in die Zisterne hinab, zieht ihn mit zwei kräftigen Zügen hoch, entleert ihn über einen Trichter in die zahlreichen Kanister. Das macht er stundenlang bis die Zisterne leer ist. Aus der Ferne betrachtet Cosob den Vorgang, eine 40-jährige Frau, die wie 60 aussieht. Zu Fuß bahnte sie sich einen Weg durch die Nacht bis zu diesem Dorf mit der Zisterne. Sie hat einen Auftrag: „Ich will, dass der Wasserlastwagen zu uns kommt.“ Ihr Dorf sei total verdorrt. Ihre 300 Ziegen alle verendet. Cosob bekniet zuerst den Lastwagenfahrer, dann bittet sie den Bürgermeister. Sie lässt sich von niemanden abweisen und bleibt so lange, bis ihr jemand verspricht: Es kommt Wasser. „Es geht um die Zukunft meiner Kinder.“

Bereits die dritte trockene Regenzeit in Folge muss Somalia 2017 über sich ergehen lassen. Die erste Dürre ist mit Vorräten noch zu überstehen. Eine zweite verhindert es, neue Vorräte anzulegen. Bei der dritten verendet unweigerlich das Vieh, und, als Folge davon, sterben die Menschen. Wer noch die Kraft hat, macht sich dorthin auf, wo es noch grün ist. Etwa an den Ceel-Xumo, einen einst breiten, heute schon ausgetrockneten Fluss. Die Bewohner dort haben zwei Brunnen ins Flussbett gegraben, Frauen ziehen Grundwasser hoch, transportieren es in Kanistern nach Cadawo Yuruura, ein Dorf mit vielleicht 500 Einwohnern. Mit ihren drei Kindern traf heute Sarah (30) hier ein. Wie sie sind Millionen von Afrikaner Klimaflüchtlinge. „Wo ich lebe, gibt es nichts mehr.“

Wie reagieren die Dorfbewohner, wenn plötzlich Hunderte von durstigen Menschen ankommen? Noch leisten die Frauen Hilfe. Sie kümmern sich um Sarahs Kinder, während sie eine Hütte zusammenzimmert. Deepra (45) weist Sarah den Weg zu dem Wasser, das ein Hilfswerk gebracht hat. Dann teilt sie es mit den Fremdlingen wie Sarah. „Entweder wir trinken zusammen oder wir sterben zusammen.“






Quelle: „Blick am Abend“, www.blickamabend.ch

Schlagwörter: Somalia, Klimawandel, Dürre, Hungersnot, Klimaflüchtlinge, Wasser, Wassermangel, Wasserwagen, Wasserversorgung, Vieh, Nomaden, verdurstet, Durst, Hungertod, Regen, Niederschlag, Regenzeit, Kamele