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Haiti: Der große Traum von Kanada

Meldung vom 19.04.2017

In Haiti halten es viele Menschen nicht mehr aus. Mangelnde Zukunftsperspektiven, die große Arbeitslosigkeit, der Hunger, die Armut, die wiederkehrenden Naturkatastrophen, die unfähige Regierung – das alles reicht, um Tausende Haitianer zur Flucht zu bewegen. Das „gelobte Land“ ist dabei in der Vorstellung der Menschen nach wie vor die USA – oder am besten gleich Kanada. Doch gestrandet sind viele an der US-Grenze zu Mexiko. In dem Grenzort Tijuana bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an.

Auf der Treppe vor dem Emmanuel-Baptisten-Zentrum in der mexikanischen Stadt Tijuana hat sich eine Gruppe von Haitianerinnen gelagert. Die Frauen flechten sich gegenseitig kleine Zöpfchen ins Haar. Auf dem Platz vor ihnen spielen Kinder Fußball und rufen wild durcheinander – einige auf Spanisch, andere auf Portugiesisch.

Viele der haitianischen Kinder haben einige Zeit in Brasilien verbracht. Denn dort konnten ihre Eltern sich zunächst als billige Arbeitskräfte verdingen, nachdem das große Erdbeben 2010 und mehrere Wirbelstürme den Karibikstaat vollständig zerrüttet hatten. Bald aber sank auch Brasilien erst in eine Wirtschafts-, dann in eine Staatskrise ab, und inzwischen haben die Haitianer dort keine Existenzgrundlage mehr. Viele sind deshalb weiter nach Norden gewandert und in Tijuana gelandet, wenige Kilometer entfernt von der US-Stadt San Diego.

In Tijuana haben Pastor Leonardo Franco und dessen Ehefrau Verónica Guadalupe Alvídrez im Zentrum ihrer Baptistengemeinde etwa 100 Haitianern Obdach gegeben. Alvídrez wirkt ausgelaugt: „Dieser Ort ist einfach nicht geeignet, um 100 Menschen zu beherbergen“, gibt sie zu, während sie einen sechsjährigen haitianischen Jungen aufhebt.

Drei bis vier Familien, sagt Alvídrez, lebten derzeit in einem Raum, für alle 100 Bewohner müssen zwei Badezimmer genügen. Die Wasserrechnung ist von 15 Euro auf 850 Euro pro Monat geklettert, sodass das Pastorenehepaar selbst in finanzielle Not geraten ist und in der Gemeinde um Hilfe bitten musste: „Würden die Menschen von Tijuana nicht spontan Lebensmittel spenden, könnten wir sie überhaupt nicht ernähren.“

Allein in der zweiten Jahreshälfte 2016 gelangten rund 8.000 Haitianer auf dem Weg in die USA nach Tijuana. Ausgelöst hatte die Einwanderungswelle wohl eine Phrase von Barack Obama: „Haitianer brauchen Mitgefühl, keine Abschiebung“, hatte der damalige US-Präsident im Oktober 2016 betont, nachdem Hurrikan Matthew von dem Karibikstaat nur noch Trümmer hinterlassen hatte. Zwar nahmen die US-Behörden schon einen Monat später die Ausweisung von haitianischen Flüchtlingen wieder vor. Doch waren da bereits viele in Richtung Norden aufgebrochen.

Noch im Oktober 2016 hatte Pastor Franco dem Stadtrat von Tijuana gesagt, dass einige der Flüchtlinge in seinem Gemeindezentrum unterkommen können. Einen Tag später waren dort 50 Haitianer eingezogen – viele von ihnen völlig entkräftet von der gefährlichen Reise aus Brasilien nach Mexiko. Und schon bald hatte sich ihre Zahl verdoppelt.

In anderen Auffangeinrichtungen wird ein ähnlicher Andrang registriert. Und nun, sagt Andrés Saldana Tavárez von der Heilsarmee im Bundesstaat Baja California, könnte die Lage noch einmal ernster werden: Die Haitianer sollen Platz machen – für Mexikaner, die im Zuge der strengeren Einwanderungspolitik der neuen US-Regierung aus den USA abgeschoben werden könnten.

Die mexikanischen Behörden, sagt Saldana Tavárez, hätten überhaupt nicht die Mittel und die Qualifikationen, die vermehrten Abschiebungsfälle aus den USA aufzufangen: „Sie sagen, die meisten Abgeschobenen blieben nicht lange hier in Tijuana. Aber sie begreifen nicht, dass alle Unterkünfte bereits voll sind und uns schon der kleinste Bevölkerungsanstieg vor ein riesiges Problem stellt.“

César Aníbal Palencia von der städtischen Migrationsbehörde unterstützt diese Sichtweise: „Die Welle von Haitianern hat uns vollkommen überrascht und unser Budget war viel zu klein.“ Palencia verlangt von der mexikanischen Bundesregierung, Mexikos Südgrenze besser zu sichern, „damit wir wenigstens wissen, wie viele Menschen ins Land kommen.“

Obwohl auch Mexiko selbst inzwischen zu einem Auffangbecken für Migranten aus Mittel- und Südamerika sowie der Karibik geworden ist, befinden sich die meisten jedoch weiterhin nur auf Durchreise in die USA. Viele von ihnen erreichen früher oder später eine der großen mexikanischen Grenzstädte Reynosa, Nuevo Laredo, Ciudad Juárez oder eben Tijuana.

Dort hat die Heilsarmee, gemeinsam mit anderen lokalen Hilfsorganisationen, die mexikanische Regierung mehrfach gebeten, ein Flüchtlingslager zu schaffen. Doch derzeit spiele sich ein Rollentausch ab, sagt Saldana Tavárez: „Zivilgesellschaftliche Organisationen und christliche Gemeinden organisieren die Hilfe und die Autoritäten unterstützen sie dabei. Das ist das Gegenteil von dem, was normal sein sollte in dieser Situation.“

Während Tijuana sich auf den Ansturm mexikanischer Rückkehrer aus den USA vorbereitet, versuchen sich die Haitianer hier ein Leben aufzubauen: „In Haiti haben wir nichts“, berichtet eine Frau namens Fedeline. Ihre Häuser seien entweder zusammengebrochen oder verkauft. „Es gibt keinen Weg zurück, keinen Weg vorwärts, keinen Weg nach Hause. Deshalb bleiben wir hier. Lieber für einen Dollar am Tag arbeiten, als gar nichts zu haben“, bemerkt Fedeline.

Doch viele hegen noch einen großen Traum: Sie wollen Kanada erreichen, das eine andere Einwanderungspolitik zu bieten hat als die USA. Schon bald, hofft man bei den Hilfsorganisationen, werde man in Kenntnis gesetzt, ob das Land humanitäre Visa für die gestrandeten Haitianer von Tijuana ausstellt.




Quelle:  „Deutsche Welle“, dw-world.de

Schlagwörter: Haiti, Flüchtlinge, Migranten, USA, Kanada, Arbeitslosigkeit, Mexiko, Tijuana, Grenzstädte, US-Grenze, Einwanderungswelle, Kirche, christliche Organisationen, Heilsarmee, Einwanderungspolitik, Abschiebung, humanitäre Katastrophe