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Mexiko: Javier Valdez, Märtyrer für die Pressefreiheit – „Schreiben heißt, den Kugeln auszuweichen“

 
Meldung vom 17.05.2017

Javier Valdez war ein bekannter Journalist in Mexiko. Er hat gewagt, was nur wenige in seinem Berufsumfeld wagen, er hat beständig an Enthüllungen über die Drogenkartelle gearbeitet. Nun wurde der Journalist am helllichten Tage erschossen – er hatte sich innerlich darauf vorbereitet.

Javier Valdez hatte diese Möglichkeit hunderte Male im Kopf durchgespielt. Der Moment, in dem klar wird, dass es jetzt dich erwischt, dass es kein Entrinnen mehr gibt, dass diejenigen den Sieg davon getragen haben, die keine Argumente haben, aber schwere Munition.

Vor diesem Moment hat sich der Journalist stets gefürchtet, auch wenn er sich darüber lustig machte und immer entgegnete: „Alter, einer muss doch machen, was wir als Journalisten tun müssen.“ Und das bedeutete für Valdez seit bald 30 Jahren: berichten und enthüllen, trotz Mord-Drohungen; die Opfer ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken, nicht die Täter. Er konnte nicht anders, er hatte sich dazu entschieden.

Am Montag (15.05.2017) um zwölf Uhr mittags ist diese mutigste Stimme des Journalismus in Mexiko für immer zum Schweigen gebracht worden. Unbekannte stellten sich Valdez in Culiacan, der Hauptstadt des Bundesstaates Sinaloa, in den Weg und zwangen ihn, aus seinem Auto auszusteigen. Was folgte, war eine Exekution: Mit mindestens zwölf Schüssen durchsiebten sie seinen Körper. Der Mord wurde kaltblütig zwischen einer Autowerkstatt und einer Grundschule verübt, nur wenige Meter von der Redaktion seines Wochenmagazins Ríodoce entfernt, das er 2003 mit zwei Kollegen ins Leben gerufen hatte. Die Mörder kannten keine Scheu, der Mord geschah mitten im öffentlichen Leben – ein Signal dafür, wie sicher sich die Kartelle wähnen.

Valdez' lebloser Körper lag hingestreckt bäuchlings mitten auf der Straße, der linke Arm unter dem massigen Rumpf. Trotz des blauen Lakens, das über die Leiche gebreitet wurde, erkannte jeder sofort das Opfer. Denn neben dem Kopf lag, arrangiert wie eine Theaterrequisite, der Sombrero, der seit Jahren sein Markenzeichen war.

Manchmal bekam man den Eindruck, als verberge sich dieser stets gute gelaunte und joviale Mann unter dem breitkrempigen Hut, so wie ihm seine Leibesfülle auch als Schutzpanzer gegen das tägliche Risiko diente, dem er sich mit jedem Wort aussetzte, das er schrieb. Im Vertrauen gab Valdez schon mal zu, dass er mit Schlafstörungen zu tun hatte, Antidepressiva einnahm und in ganz harten Zeiten auch zum Therapeuten ging.

Der mehrfach ausgezeichnete Journalist ist der sechste Reporter, der 2017 in Mexiko ermordet wurde. In vielen Regionen des lateinamerikanischen Landes ist Journalismus nur noch unter Lebensrisiko auszuüben. Die Mörder haben wenig zu fürchten, die meisten Verbrechen belieben unbestraft: 98 von 100 Delikten bleiben in Mexiko unaufgeklärt, weil Polizei und Justiz ineffizient sind, zum Teil von der Mafia infiltriert und die Regierung passiv zuschaut. Bei Gewalttaten gegen Journalisten werden statistisch 99,5 Prozent nicht aufgeklärt.

„Über den Narco (den Drogenkriminellen) zu schreiben heißt, den Kugeln auszuweichen“, eröffnete Valdez vor fünf Monaten dem Spiegel gegenüber. Valdez, der 50 Jahre alt wurde und Frau und eine Tochter hinterlässt, war Mexikos mutigster Chronist des Drogenkriegs. Er war einer der wenigen, die Licht in das gespenstische Dunkel dieser Gewaltorgie brachten, die den Krieg in Worte fassen, der in zehn Jahren mehr als 100.000 Menschenleben forderte. Es ist ein Krieg, in dem keine klaren Fronten auszumachen sind, in dem Regierung und Organisiertes Verbrechen oftmals ineinander übergehen. Ein Krieg, in dem man sich nie sicher ist, ob derjenige, der einem gerade ein Interview gibt, morgen schon einen Mord in Auftrag gibt.

Valdez hatte sich nicht nur der Wahrheit verschrieben, meint sein Freund und Kollege Diego Osorno über ihn. „Er kannte auch die Codes der Mafiawelt und hatte überall Quellen.“ Umso mehr quälen sich seine Freunde und Kollegen mit Fragen: „Warum er, was hat er geschrieben? Wem ist er auf die Füße getreten?“

Wer war so kaltblütig, ein Attentat auf einen so prominenten Journalisten in Auftrag zu geben? Vielleicht werden die Hintergründe nie klar hervortreten. Manchmal gibt ein Wort in einem Artikel den Ausschlag. Oder ein neuer Kartellboss will sich profilieren und ein Exempel statuieren. Oder es gibt einen Politiker, der sich auf den Schlips getreten fühlt. Die Hürden zum Gewaltverbrechen sind niedrig.

Seit der Auslieferung des legendären Drogenbosses Chapo Guzmán an die USA ist in Guzmáns Heimatstaat Sinaloa ein blutiger Nachfolgekampf zwischen seinen Söhnen und den alten Statthaltern des Kartells ausgebrochen. Javier Valdez rügte dabei mehrfach die Brutalität der jungen Generation von Drogenbossen.

Erst vor wenigen Tagen verweigerte er sich der Interview-Anfrage einer Auslandskorrespondentin, die sich von ihm die neue Struktur des Sinaloa-Kartells aufschlüsseln lassen wollte: „Danke für dein Interesse, aber aus Sicherheitsgründen kann ich nichts sagen. Die Lage ist hier richtig scheiße gerade.“

Valdez hat fünf Bücher über das Thema des Drogenkriegs verfasst. Er hat für seine Arbeit diverse Auszeichnungen erhalten, unter anderen 2011 den Internationalen Preis für Pressefreiheit der Journalistenschutzorganisation Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ). Als er den Preis in New York in Empfang nahm, betonte er: „Wo ich arbeite, ist es gefährlich am Leben zu sein. Und Journalismus zu machen bedeutet, auf einer dünnen Linie zu balancieren, die von den Bösewichten gezogen wurde, die in der Regierung und im Organisierten Verbrechen sitzen. Es ist, wie auf einem Minenfeld zu tanzen.“

Journalist zu sein, das heiße auf einer schwarzen Liste zu stehen, ergänzte Valdez jüngst. Selbst wenn man sich mit kugelsicherer Weste und Leibwächtern durchs Leben bewege, seien es am Ende die Kartelle, die entschieden, „an welchem Tag sie dich töten werden“. Der Bruder des Toten, Rafael Valdez, erklärte: „Ich habe ihn gefragt, warum er sein Leben aufs Spiel setzt, und er antwortete: ,Das ist etwas, das ich gerne tue, und jemand muss es tun. Man muss kämpfen, um die Dinge zu ändern.'“

Am Dienstag (16.05.2017) fand die Beisetzung von Valdez in seiner Heimatstadt Culiacán statt. Den ganzen Tag über hüllte ein leichter Nieselregen die Stadt in ein tristes Grau, in der es eigentlich im Mai nie regnet.






Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

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