Äthiopien: Jahrhundert-Staudamm am Nil – Der Kampf um die Lebensader

 
Meldung vom 14.12.2017

Für Äthiopien hängen inzwischen alle Hoffnungen auf eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung mit dem Nil zusammen. Für Ägypten aber ist er die wichtigste Lebensader. Der Bau des größten Staudamms Afrikas in Äthiopien hat nun schwerwiegende Streitigkeiten um das Nilwasser ausgelöst.

Wie eine Pyramide erhebt sich der kolossale Staudamm über den Blauen Nil. Das massive Betonbauwerk ist schon 145 Meter hoch. Stufen, gebaut wie für Riesen, führen hoch zum etwa zwei Kilometer langen Kamm des Damms, der zwischen zwei Berggipfeln verläuft. Bauarbeiter mit roten Helmen, die auf der Betonmauer arbeiten, wirken wie Ameisen.

Das Wasser des Blauen Nils strömt durch den Staudamm gen Westen. Rund 40 Kilometer entfernt verläuft die Grenze zum Nachbarland Sudan, dessen Konturen im Dunst des Morgens verschwimmen. In Khartum vereint er sich mit dem Weißen Nil, von dort fließt der Nil durch Ägypten zum Mittelmeer.

An den Nil werden die Hoffnungen der ganzen Region geknüpft – aber die Zukunft des Nils bereitet auch die meisten Sorgen in der Region. Bislang streiten die Nil-Staaten, statt bei der Verwaltung des mächtigen Flusses an einem Strang zu ziehen, was große Risiken berge, meinen Beobachter. Der neue Staudamm könnte für einen Eklat sorgen. Das Säbelrasseln hat schon längst begonnen: Das Wasser sei eine „Sache von Leben und Tod“, proklamierte jüngst Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi.

Im abgelegenen Nordwesten Äthiopiens wächst derzeit der größte Staudamm Afrikas. Für das Land ist der Bau des Großen Staudamms der Äthiopischen Wiedergeburt (Grand Ethiopian Renaissance Dam, GERD) ein ehrgeiziges Unternehmen. Es ist das bislang größte Infrastrukturprojekt des Landes. Bereits bis zu 63 Prozent fertiggestellt, soll er nach äthiopischen Angaben künftig bis zu 6.450 Megawatt Strom aus Wasserkraft generieren. Das kann man etwa der Leistung von vier Reaktoren eines modernen Kernkraftwerks gleichsetzen.

„Der Damm wird uns erlauben, unseren gemeinsamen Gegner zu bekämpfen: Armut“, ist sich der Chef-Ingenieur des Bauprojekts, Semegnew Bekele, sicher. Für Bekele, wie für die meisten Äthiopier, ist der Wiedergeburt-Damm weitaus mehr als ein Infrastruktur-Projekt. Er wird als Wahrzeichen der Unabhängigkeit und Willensstärke Äthiopiens gesehen, eines von nur zwei Ländern Afrikas, das sich niemals einer Kolonialisierung gebeugt hat. Die Baukosten von rund vier Milliarden US-Dollar werden, so heißt es offiziell, von Äthiopien selbst getragen. Bürger wurden gebeten, Anleihen zu erwerben, und Staatsbedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts spenden.

Doch dieser Alleingang Äthiopiens wird flussabwärts mit großen Sorgen wahrgenommen. Kein Land auf der Welt begreift sein Schicksal so eng mit dem Lauf eines Flusses verknüpft wie Ägypten. Der griechische Historiker Herodot betitelte das Land einst als „Geschenk des Nils“. Ägypten speise etwa 97 Prozent seines Wasserbedarfs aus dem Strom, sagt Michele Dunne, die Nahost-Leiterin der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace – vor allem für die Landwirtschaft. Doch mit einer wachsenden Bevölkerung und schlechter Wasserwirtschaft steuere Ägypten „ohnehin in den nächsten fünf Jahren auf eine Wasserkrise zu“, meint Dunne. Die Furcht, Addis Abeba könnte Kairo den Wasserhahn abdrehen, ist daher nicht unbegründet. „Niemand darf Ägyptens Wasser antasten“, warnte jüngst Ägyptens Präsident Al-Sisi. Über dieses Thema zu verhandeln ist ein Drahtseilakt.

Denn es sei unklar, wie viel Wasser Jahr für Jahr den Nil hinab fließen werde, erläutert der Ingenieur und Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, Kenneth Strzepek. Der Klimawandel spiele eine wichtige Rolle dabei. „Wenn Ägypten und Äthiopien also versuchen, eine klare Einigung darüber zu erzielen, wie viel Wasser jährlich zurückgehalten und wie viel durchgelassen wird, gibt es für beide ein Risiko.“

Projektleiter Bekele weicht der Frage nach dem Füllen des Reservoirs stets aus. Man werde nicht auf Kosten anderer die Entwicklung des Landes durchsetzen, beruhigt der Ingenieur. Auch Äthiopiens Wasserminister Sileshi Bekele sagte jüngst: „Der Füllungsprozess wird über eine lange Zeitspanne stattfinden, ohne die natürliche Flussströmung zu beeinträchtigen.“ Der Sudan war bislang stark beeinflusst von den natürlichen Zyklen des Nils: In der Regensaison steht viel Wasser zur Verfügung, in der Trockenzeit wenig. Doch mit einem vom äthiopischen Damm regulierten Strom werde dem Sudan eine mehr oder weniger konstante Wassermenge zufließen, sagt Strzepek. Somit könne sich das Land künftig auf mehr Wasser einstellen als zuvor, um nicht nur eine, sondern zwei Ernten pro Jahr zu generieren.

Der Sudan hat längst erkannt, dass er Profit aus der Sache schlagen kann und Äthiopien seine Unterstützung zugesagt. Doch auch Ägypten könne letztendlich vom Staudamm Vorteile haben, sagt Ingenieur Kevin Wheeler vom Environmental Change Institute an der Oxford Universität, der seit Jahren Forschungen zu dem Damm anstellt. Da der äthiopische Stausee höher und in einem kühleren Klima liegt, verdunstet das Wasser weniger schnell als in Ägyptens Nasser-See.

Ein zusätzliches Reservoir flussaufwärts sei zudem gleichzusetzen mit mehr Wassersicherheit für Ägypten in trockenen Jahren, betont Wheeler – Voraussetzung dafür ist, dass die Länder eng miteinander zusammenarbeiten. Und das ist bislang das Problem: „Ich kenne keine andere Situation, in der zwei Staudämme dieser Größenordnung auf einem Fluss betrieben werden, ohne einen Plan, wie man die beiden koordiniert.“

Das Ganze kann nur mit dem festen Willen zur Zusammenarbeit und einer guten Portion Vertrauen gelingen, sagt Strzepek – „und Vertrauen gibt es wenig“. Womöglich könnten internationale Akteure vermitteln, um einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden, wie Dunne sagt. Doch noch ist alles offen: Auch für eine Einigung zwischen Addis Abeba und Kairo selbst ist es noch nicht zu spät. Eine militärische Provokation Ägyptens sei aber ebenfalls nicht auszuschließen. „Eine Sicherheitskrise steht nicht unmittelbar bevor, aber sie ist möglich.“

Während die Staaten noch immer nach einem Ausweg aus der politischen Kletterpartie suchen, tickt die Uhr. Täglich wird an der Fertigstellung des Damms gearbeitet. Das Reservoir sei bereits vorbereitet worden, die Wälder gerodet, sagt der leitende Ingenieur Bekele und zeigt auf die Baumgrenze im Seebecken, die nun etwa auf der Höhe des Damm-Kammes liegt. Dass Äthiopien die Kontrolle über den Prozess behalten will, ist dem Land sicherlich bewusst. Wasserminister Bekele hat selbst zugegeben: „Es ist undenkbar, dass Äthiopien den Bau des Dammes stoppen wird.“


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Äthiopien: Wiedergeburt durch Staudamm


Quelle: „wetter.com“, www.wetter.com