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Nicaragua: „Hier traut sich der Diktator nicht rein“ – Die Uni als Bastion des Widerstands

Meldung vom 02.05.2018

Die Studenten in Nicaragua setzen sich nun gegen den Regierungs-Apparat von Präsident Daniel Ortega zur Wehr. Sie wollen endlich ein Ende von Korruption und Misswirtschaft. Doch Ortega ließ die Demonstrationen brutal niederschlagen. Die letzten Standhaften haben in der Uni der Hauptstadt Stellung bezogen. Sie ist zu einer Zentrale des Widerstandes geworden.

Als Celeste Chavarría sah, wie einem ihrer Mitstudenten in den Kopf geschossen wurde, entschloss sie sich, dem Regime die Stirn zu bieten. Ihr erklärter Gegner ist hinfort eine Regierung, die junge Menschen kaltblütig ermordet, weil sie für die Demokratie auf die Straße gehen.

Mindestens 34 Tote wurden gezählt, in nur wenigen Tagen. Chavarría, 20, verfolgte das Schrecken auf dem Smartphone, Freunde hatten ihr das Video geschickt. Sofort schulterte sie ihren Rucksack und fuhr zur Upoli, der Polytechnischen Universität von Managua. Das war vor zehn Tagen, jetzt verwaltet die zierliche Kommunikationsstudentin in rosaroten Sneakern Lebensmittel, die Anwohner für die Studenten gebracht haben.

Die Upoli ist die letzte Bastion des Widerstands. Denn überall im Land haben Regierungsanhänger Universitäten zerschlagen, verwüstet oder in Schutt und Asche gelegt. Der Campus befindet sich wie eine Festung inmitten von Slums, deren Bewohner zu den Studenten halten. Er ist von hohen Mauern geschützt und erlaubt keine Einblicke. „Hier traut sich der Diktator nicht rein“, erklärt Chavarría.

Sie meint Daniel Ortega, den 72-jährigen Präsidenten, der 1979 der sandinistischen Revolution vorstand, die die Somoza-Diktatur zu Fall brachte. Doch viele Jahre später hat er sich selbst zum Usurpator entwickelt.

Nicaragua ist in einer finanziellen Flaute. Jetzt, wo das krisengeplagte Venezuela keine Subventionen mehr für seine Verbündeten erübrigen kann, versiegen die Geldquellen der Regierung in Managua. Daher beschloss Ortega Mitte April eine Kürzung der Renten und erhöhte die Sozialabgaben. Aber er rechnete nicht mit der schwelenden Wut seiner Bürger.

„Als die Regierung dann alte Leute zusammenknüppeln ließ, die gegen die Rentenreform protestierten, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, meint Celeste Chavarría. Die Studenten liefen zu den Protestbewegungen über, auch der Unternehmerverband verweigerte dem Regime erstmals die Unterstützung. Und Ortega reagierte mit Gewalt.

Der Präsident ließ nicht nur die Polizei aufmarschieren, er mobilisierte auch regierungstreue Schlägertrupps, die gegen die Studenten loszogen. Einige Demonstranten wurden regelrecht exekutiert, Scharfschützen zielten auf Kopf und Herz. Doch je härter Ortega durchgriff, desto mehr Widerstand brach hervor. Die Proteste griffen immer mehr um sich und erfassten das ganze Land. Als er am vergangenen Sonntag die umstrittene Sozialreform schließlich wieder abschaffen wollte, war es zu spät. Inzwischen zielt der Widerstand auf das gesamte System ab. „Der Diktator muss gehen“, erklärt Chavarría. „Wir wollen die Demokratie zurück.“

Die Upoli hat sich während der Proteste zur Notaufnahme entwickelt, die Studenten haben improvisierte Krankenzimmer und einen Operationssaal eingerichtet, Ärzte und Medizinstudenten kümmern sich rund um die Uhr um die Verwundeten. Denn einige öffentliche Krankenhäuser weisen verletzte Demonstranten ab. Eine Holzpritsche, die als Operationstisch genutzt wird, ist blutverschmiert; allein in den Räumen der Universität kamen sechs Studenten ums Leben. Mit ihren Fotos am Eingang der Uni wird der Opfer erinnert.

In einem zur Apotheke umfunktionierten Saal hausen fünf Studenten zwischen Bergen von Medikamenten, die Unterstützer gespendet haben. Einige Frauen aus der Nachbarschaft sitzen am Boden und füllen Wasser in Plastikflaschen, das die Wirkung von Tränengas neutralisieren soll.

Ständig kommen mit Lebensmitteln und Wasser beladene Autos zum Campus. Jedes Fahrzeug wird kontrolliert, bevor es durchgelassen wird. Die Studenten untersuchen sogar, ob die Lebensmittel vergiftet sind. „Wir haben Flaschen gefunden, die mit Säure gefüllt waren“, berichtet einer der Anführer.

Hunderte Studenten halten sich in der Upoli auf; ihre T-Shirts sind mit Kriegernamen verziert. Sie haben sich „El Perro“, der Hund, „Don“ oder „Batman“ getauft. Ihre echten Namen nennen sie nicht, sie fürchten um ihr Leben. Vermummte mit Mörser-Geschossen verrichten den Wachdienst, sie beobachten die Uni rund um die Uhr. Auf dem Dach haben Späher Stellung bezogen, sie suchen den Himmel nach Drohnen der Regierung ab. Die Feuertreppen sind mit Möbelstücken verbarrikadiert, Kommunikation läuft über WhatsApp und Facebook.

Besucher müssen ihre Personalpapiere vorzeigen und ihre Handys am Eingang ausliefern. Die Studenten sind in Sorge, dass das Regime Spione einschleust. Mehrfach haben sie Polizisten in Zivil auf dem Unigelände ertappt.

Vier Sicherheitszonen haben sie zudem um den Campus eingerichtet und auf den umliegenden Straßen Barrikaden aus Pflastersteinen, Autoreifen und Bäumen aufgetürmt. Während der Straßenschlachten mit der Polizei hätten auch Jugendgangs aus den Armenvierteln die Studenten unterstützt, berichtet „Don“: „Eigentlich sind sie verfeindet, der Kampf gegen die Diktatur hat sie zusammengeschweißt“.

Auf einem Platz im Freien sägen Helfer Stahlrohre klein, die sie in Mörser umfunktionieren; als Munition werden Böller verwendet, die mit Schießpulver gefüllt werden. Fanta-Flaschen werden zu Molotow-Cocktails ausgebaut, Plastikfässer aufgeschnitten und zu Schutzschilden umgemodelt.

Wie lange wollen sie standhalten? „Solange wie nötig“, sagt Celeste Chavarría. Am Montag hat die Regierung zwar das Gespräch angeboten und die Kirche will dabei die Vermittlerrolle annehmen. Die Polizei wurde aus der Umgebung der Universität zurückgepfiffen – aber die Studenten trauen Ortega nicht. Sie haben eine Liste von zehn Forderungen zusammengestellt, die sie erfüllt sehen wollen, bevor sie die Universität wieder verlassen. Chavarría meint: „Vor allem müssen die Morde an unseren Kommilitonen aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Die junge Frau bereitet sich auf einen langen Kampf vor. Zwar kehrt sie jeden Abend zu ihren Eltern in einen Vorort zurück, weil die äußerst besorgt sind. Aber morgens tritt sie wieder ihren Dienst in der Uni an. Sie betont, sie habe viel gelernt in diesen Tagen. „Mich kann das Regime nicht mehr mit Terror erschrecken. Ich habe keine Angst mehr.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Nicaragua, Daniel Ortega, Widerstand, Demonstrationen, Studenten, Universität, Managua, Rentenreform, Diktatur, Upoli, Polytechnische Universität, Polizei, Schlägertrupps, Bastion, Armenviertel, Slums, Campus, Diktator