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Indien: Lynchmord wegen Fake News

Meldung vom 30.07.2018

Indien kann man als eine perfekte Whatsapp-Nation bezeichnen. Mehr als 200 Millionen Menschen tummeln sich dort auf dem beliebten Online-Portal. Doch das hat auch negative Seiten. Inzwischen wurden immer mehr Fälle bekannt, in denen „Fake News“ – in Umlauf gebracht über WhatsApp – einen großen Mob zum Lynchmord angestachelt haben. Fünf Männer in Maharashtra wurden erst kürzlich zu Tode geprügelt. Es wurden Gerüchte gestreut, dass Kindesentführer die Gegend unsicher machen würden.

Die beiden jungen Männer waren völlig unvorbereitet auf das, was die Nacht noch bringen würde. Ihnen war bei der Fahrt durch ein Dorf in Zentralindien das Benzin ausgegangen und sie hielten Ausschau nach jemandem, der ihnen unter die Arme greifen könnte. Eigentlich keine große Angelegenheit, wo doch immer irgendjemandem irgendwo in Indien der Sprit ausgeht. Und so klopften Sheikh Rizwan und Prem Singhare an die Tür eines Hauses, in der Hoffnung, dass sie trotz später Stunde noch ein paar Tropfen Treibstoff organisieren könnten. Doch da gab es kein Benzin für die beiden Männer. Stattdessen stießen sie auf eine sehr große, lebensgefährliche Wut im Dorf.

Die Inder waren zur falschen Zeit im falschen Dorf gelandet. Denn dort kursierte ein wildes Gerücht. Angeblich trieb eine Verbrecherbande im Distrikt Balaghat ihr Unwesen. Männer, die nachts umherschlichen, um Leute umzubringen und ihnen die Organe aus dem Leib zu entfernen. Hunderte Nierendiebe sollten in die Gegend eingedrungen sein, so konnte man in Meldungen auf WhatsApp lesen. Alles Falschmeldungen, wie sich später herausstellte. Die Polizei inhaftierte einige Tage danach drei Verdächtige, die solche Meldungen ins Internet gestellt hatten.

Doch Mitte Juni waren die Gerüchte noch ganz neu, sie hatten sich verbreitet wie ein Lauffeuer und schürten Hysterie. Und dann erschienen plötzlich die beiden Fremden im Dorf, die an Türen klopften, mitten in der Nacht. Es dauerte nicht lange, bis sich eine wütende Menge zusammenrottete. Und so endete diese Nacht in einer Menschenjagd, die es ohne die Lüge über die Nierendiebe wohl nie gegeben hätte.

In einem anderen Fall ließ der Mob keine Gnade walten, fünf Männer wurden zu Tode geprügelt. „Indien ist eine WhatsApp-Nation geworden“, stellt Pawan Duggal fest. Er ist Experte für Internetrecht. Mehr als 200 Millionen Menschen verständigen sich über den Online-Dienst auf dem Subkontinent, nirgendwo hat WhatsApp eine größere Kundschaft. Das sei einerseits ein Vorteil, weil die Chats so viele Menschen verbinden. Anderseits sieht der Jurist Duggal aber auch bedrohliche Seiten daran, weil sein Land in keiner Weise aufgeklärt genug ist, um sich vor der Flut von Falschmeldungen zu schützen, die in Indien Tag für Tag kursieren. Die beiden Männer, die in jener Nacht als Nierendiebe verdächtigt wurden, kamen nochmal mit einem blauen Auge davon, weil Polizisten rechtzeitig einschritten, um den Mob auseinander zu drängen. In solchen Situationen entscheiden oft Sekunden über Leben oder Tod.

Für die fünf Männer in Maharashtra kam am vergangenen Wochenende aber keine Hilfe. Sie waren Nomaden und auf dem Weg zum Markt. Als einer von ihnen offenbar ein kleines Mädchen ansprach, war das schon der Auslöser, der die Leute zur Raserei brachte. Der Mob war für keine Argumente mehr zugänglich. Alle fünf Männer wurden zu Tode geprügelt. Die Polizei gab nach ersten Ermittlungen bekannt, dass auch dieser Lynchmord durch „falsche Gerüchte“ über angebliche Kindesentführer in sozialen Medien ausgelöst worden war.

Die Fälle mehren sich, nahezu jede Woche kommt es zu solchen Auswüchsen in der Bevölkerung. Oft gibt es Verletzte und immer wieder auch Opfer. Im Juni versetzte der Tod zweier Männer in Assam der Nation einen Schock. Sie wollten sich nur auf einen Ausflug in die Berge begeben und fragten in einem Dorf nach dem Weg. Dort aber wurden sie von einer Gruppe überwältigt, aufgehetzt durch Gerede, dass die beiden einer Kidnapper-Bande angehören würden. Das war frei erfunden, hatte sich aber per WhatsApp in Windeseile verbreitet.

Die Männer waren Künstler, keine Kriminellen, genauso unschuldig wie der Bauarbeiter Kaalu Ram, der in Bangalore gelyncht wurde, am helllichten Tag auf offener Straße. Der 26-Jährige war nur auf Jobsuche. Doch die Bevölkerung war aufgeschreckt durch Meldungen über eine Horde Kindesentführer. Angeblich nahmen sie zu Hunderten Kurs auf die Stadt, auch dafür gab es keine Belege, aber Mütter nahmen ihre Kleinen von der Straße, Fremde wurden misstrauisch geprüft. So geriet auch Ram unter Verdacht: Sie fesselten ihn, prügelten ihn und schleiften ihn durch die Straßen, er erlag auf dem Weg in die Klinik seinen Verletzungen.

Massenhysterie und Lynchjustiz sind in Indien bereits bekannte Phänomene. In einem Land mit großen sozialen Spannungen und einem völlig unzureichenden Justizsystem ist es immer wieder zu Vorfällen gekommen, bei denen schon ein Gerücht einem Todesurteil gleichkam. Oftmals war der Mob nicht mehr zu bremsen, die Polizisten waren zu feige oder gelangten zu spät zum Unglücksort. Dennoch offenbaren gerade die jüngsten Taten in unterschiedlichen Gegenden Indiens, dass die sozialen Medien die Konflikte erheblich verschärfen. Der Staat kann sich offenbar nicht durchsetzen angesichts unkontrollierbarer Gewaltausbrüche in der Bevölkerung, an deren Anfang nun fast immer eine Meldung in den sozialen Netzwerken steht. „Dieser Zusammenhang ist nicht zu leugnen“, meint Duggal, der Staat müsse sich schnellstens der Sache annehmen.

„Jeder Inder ist ja nun ein Sender“, betont Duggal, das ständige Posten von Nachrichten sei für Millionen schon in eine Sucht ausgeartet. „Soziale Medien sind ein riesiger Whirlpool, man weiß nie, was sie alles in der nächsten Minute hochwirbeln.“ Die Betreiber von Social-Media-Plattformen gehen jeglichen Problemen aus dem Weg, mahnt Duggal, sie hätten sich längst auf die Rolle eines bloßen Zuschauers zurückgezogen. Genauso wenig zeige der Staat die Bereitschaft, den „Wilden Westen der sozialen Medien“ zu bändigen und Regeln einzuführen.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Süddeutsche Zeitung“, sueddeutsche.de

Schlagwörter: Indien, Soziale Medien, Lynchmord, Lynchjustiz, Mob, Meute, Tote, WhatsApp, Gerüchte, Fake News, Falschmeldungen, Internet, Vergewaltigung, Organhändler, Internetrecht