Kenia: Hinter den Türen einer verstaubten Bibliothek die afrikanische Geschichte entdecken

Meldung vom 08.08.2018

Immer noch ist Kenias Alltag stark von der vergangenen britischen Kolonialmacht geprägt – auf den Straßen, in der Sprache und in den Schulen. Immer mehr junge Kenianer wollen sich davon abnabeln und ihre eigene Geschichte und Identität wiederentdecken und neu erzählen – „auf die afrikanische Art“.

Bewacht von zwei Steinlöwen steht die McMillan-Bibliothek prachtvoll im Zentrum von Nairobi. Auf breiten Stufen läuft man hoch zu sechs eleganten neoklassizistischen Säulen, die den Eingang verzieren. Und doch geht das Gebäude der Kolonialzeit im Getöse des Verkehrs beinahe unter, fast bleibt es unsichtbar. Die Menschen passieren es achtlos, streben zum Beten in die Moschee links oder es zieht sie in das belebte Swahili-Restaurant rechts davon.

Die 1929 errichtete Bibliothek spielt im Stadtleben von Nairobi kaum mehr eine Rolle. Sie ähnelt einem in Vergessenheit geratenen Dornröschenschloss. Und doch ist sie ein wesentlicher Bestandteil von Nairobi und Kenia – ganz ähnlich wie die britische Kolonialzeit selbst. Doch in Kenia kündigt sich eine Wende an: Immer mehr junge Kenianer wollen die komplexe Vergangenheit hinter sich lassen und ihre eigene Geschichte auf kreative Art und Weise neu für sich beanspruchen. So soll auch bald die McMillan-Bibliothek – dank zwei Pionierinnen – einen neuen Anstrich bekommen.

Der Geist der ehemaligen britischen Kolonialmacht ist in dem ostafrikanischen Land fast überall noch ersichtlich. Die Autos fahren links, die Richter am Obersten Gerichtshof erscheinen mit weißen Perücken zur Verhandlung, die Country-Clubs sind weiterhin populär und die Schuluniform ist Pflicht. Doch allmählich stellt sich ein Umdenken ein. Dass beispielsweise Museen in Großbritannien, sowie in etlichen anderen Ländern, noch immer kenianische Artefakte und Kulturschätze bunkern, ist inzwischen vielen Kenianern ein Dorn im Auge.

„Es beraubt Afrikaner ihrer Identität“, meint Dennis Opudo, der Leiter der Abteilung für Anthropologie am Nairobi National Museum. Er führt etwa Grabtafeln des Volkes der Giriama an, die Verstorbene nachbilden und als Medium zwischen der Welt der Lebenden und derjenigen der Ahnen fungieren sollten.

Die koloniale Vergangenheit hat vor allem auch Auswirkung auf Kenias Bildungssystem. „Im Geschichtsunterricht für Kinder geht es im Wesentlichen um Europa und Amerika“, weiß Opudo. „Es wird nur wenig auf afrikanische Geschichte eingegangen.“ Das stößt zunehmend auf Widerwillen bei den Kenianern. Man muss alles über die Heldentaten europäischer „Abenteurer“ und „Entdecker“ auswendig lernen. Doch wer lehrt etwa über die Kämpferin Mekatilili, die sich gegen die Briten stellte?

Die junge Generation setzt nun neue Akzente. „Afrikanische Geschichten sollten von Afrikanern erzählt werden, auf die afrikanische Art“, betonen Aleya Kassam, Anne Moraa und Laura Ekumbo von der Theatergruppe Too Early for Birds. In ihrem jüngsten, in Nairobi aufgeführten Stück werden Heldentaten weiblicher Ikonen aus Kenias Geschichte lebendig: Man hört von Mekatilili und einer Kriegerin des Volkes der Nandi, die der Legende nach den Feind ihres Stammes besiegte. Auch die Aktivistin Zina Patel steht hier im Scheinwerferlicht, die sich in der Ära des Präsidenten Daniel Arap Moi für Umweltschutz und Integration stark machte.

„Indem wir unsere Geschichten erzählen, wollen wir unsere eigenen modernen Legenden schaffen“, erklären die drei Frauen der Theatergruppe. „Unsere Helden aussuchen. Unsere Generation dazu inspirieren, größere und bessere Dinge zu tun.“ Eigene Tradition entdecken – an dieser Verwandlung nehmen auch Wanjiru Koinange und Angela Wachuka teil. Die Autorin und die Verlegerin sind durch Zufall auf die alte McMillan-Bibliothek aufmerksam geworden.

Dort seien 400.000 „Schätze“ zu finden, sagen die jungen Frauen – alte Bücher, Bilder und Büsten, das meiste stammt noch aus der Kolonialzeit. Vieles ist unter einer dicken Staubschicht fast verschwunden und steht vergessen in der Ecke. „Der Inhalt der Bibliothek wurde seit den 1970ern nicht mehr aktualisiert“, wissen Wachuka und Koinange. Es handelt sich um eine öffentliche Bibliothek, doch von der Öffentlichkeit gar nicht mehr wahrgenommen.

„Wir wollen sie wiederbeleben“, meint Koinange. Doch die Bibliothek soll ins 21. Jahrhundert transferiert werden. „Wir müssen mit den Zeiten mithalten“, ergänzt Wachuka. So wollen sie zusammen mit der Stadtverwaltung aus der Bibliothek ein Zentrum für Kultur und Literatur schaffen, in dem die Menschen nicht nur Bücher leihen können, sondern auch Filmvorführungen und Lesungen geboten bekommen. Vielleicht könne „McMillan“, wie der Spitzname der Bibliothek lautet, auch durch ein Café verschönert werden. Auf jeden Fall müssten Toiletten eingebaut werden. Und sie muss mit Wi-Fi ausgestattet werden.

Die zwei Kenianerinnen wollen bewusst die Vergangenheit des Gebäudes aufarbeiten. „Es wird interessant sein, einen Raum zu erforschen, der nicht für uns bestimmt war“, erläutert Wachuka. Damit bringt sie in Erinnerung, dass zunächst nur Weiße die Bibliothek nutzen durften. Das sei auch noch heute deutlich zu erkennen: Etwa suche man in der Büchersammlung Werke afrikanischer Autoren vergeblich. „Wir werden diese Problematik anerkennen und gleichzeitig einen Ort schaffen, der inklusiv ist“, kündigt Wachuka an.

Über Sir William Northrup McMillan, den Mann, nach dem die Bibliothek genannt wurde, wissen die Frauen nur wenig. Doch was immer auch über den Mann ans Licht kommt – „damit werden wir umgehen“, sagt Koinange.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „n-tv“, n-tv.de