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Äthiopien: Im ehemals goldenen Gefängnis – Äthiopische Gastarbeiter sitzen in Saudi-Arabien fest

Meldung vom 18.09.2020

In arabischen Ländern stranden tausende Arbeitsmigranten aus Afrika in Lagern, in denen katastrophale Lebensbedingungen herrschen. Besonders im Zuge der Corona-Pandemie wurden ihre Dienste plötzlich nicht mehr benötigt. Nun sitzen die Gastarbeiter in den Camps fest. Für die Heimreise fehlt ihnen das Geld, ihre Heimatländer zeichnen sich durch Nichtstun aus.

Hunderte Männer müssen auf dem schmutzigen Boden schlafen, viele mit nacktem Oberkörper. Die Männer wirken apathisch, bei manchen ist der Rücken vernarbt. Es sind Fotos aus Saudi-Arabien, einem der reichsten Länder der Welt, die nach Angaben des Daily Telegraph von äthiopischen Migranten gemacht wurden – von jungen Männern also, die an den Golf kamen, um zu arbeiten. Nun wurden sie von ihren Arbeitgebern abgestoßen und sitzen in verschiedenen Unterkünften fest, die wie Internierungslager aussehen.

„Es ist die Hölle, wir werden behandelt wie Tiere und jeden Tag geschlagen“, klagt ein junger Äthiopier. Einige Insassen hätten bereits Selbstmord verübt, die wenigen Latrinen seien mit Fäkalien überschwemmt, Trinkwasser gebe es kaum. Der äthiopische Generalkonsul im saudischen Dschidda meldete, dass es dort 53 Gefängnisse gebe, in denen Äthiopier verzweifelt auf das Eingreifen ihres Heimatlandes warteten. In einem seien sogar 16.000 Menschen eingesperrt.

Die Berichte decken sich mit dem, was Gastarbeiter seit Jahren aus vielen Staaten am Golf erzählen, wo sie von ihren Arbeitgebern wie Sklaven behandelt und oft missbraucht würden. Die lokale Gesetzgebung gesteht Migranten fast keine Arbeitsrechte zu. Sie sind vollkommen in der Hand ihrer Arbeitgeber. Wer sich beschwert, wird im besten Fall einfach gefeuert. Aus eigenem Antrieb zu gehen, ist gleichzeitig nicht möglich – Arbeitsmigranten müssen ihre Pässe beim Arbeitgeber abgeben. Sie werden daher oft wie Gefangene gehalten. Nicht selten werden sie geschlagen, die Frauen vergewaltigt. Die äthiopische Zeitung Addis Standard berichtete, dass am Flughafen Addis Abeba regelmäßig die Leichen von Gastarbeiterinnen aus arabischen Staaten eingeflogen werden.

Die Zustände in Saudi-Arabien gingen selbst der äthiopischen Regierung zwischenzeitlich zu weit, 2016 verboten sie ihren Bürgern zu ihrem eigenen Schutz, für einen Job in das Land zu gehen. Doch 2019 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Wohl nicht, weil Saudi-Arabien irgendetwas an den Arbeitsbedingungen für die Gastarbeiter verbessert hätte, sondern aus ökonomischer Notwendigkeit. Millionen Gastarbeiter aus Asien und Ostafrika verdingen sich im Königreich, meist als Haushaltshilfen oder Bauarbeiter – und senden trotz minimalen Löhnen Geld in die Heimat, das dort dringend benötigt wird.

Viele wurden in den vergangenen Jahren jedoch hinausgeworfen, seit Kronprinz Muhammad bin Salman seine Landsleute ermahnt hat, verstärkt Saudis einzustellen, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die saudische Regierung kritisiert nun, Äthiopien wolle Zehntausende seiner Staatsbürger nicht zurücknehmen, eine Anschuldigung, die die Regierung in Addis Abeba zurückweist.

Der Rassismus in den Golfstaaten sei „bis zur Perfektion strukturiert“, schreibt Vani Saraswathi von der Organisation Migrant Rights, die sich unter anderem der Gastarbeiter annimmt. Seit Ausbruch der Corona-Krise hat sich die gesellschaftliche Stimmung gegen die Gastarbeiter weiter verschärft. Afrikanische Migranten klagen über rassistische Diskriminierung durch ihre Arbeitgeber. Man beschuldige die Migranten, potenzielle Überträger des Virus zu sein. Sie sperren sie im Haus ein und erlauben ihnen nicht mehr, Freunde zu treffen. Oder werfen sie einfach ganz raus.

In Libanons Hauptstadt Beirut haben Einheimische ihre äthiopischen Angestellten einfach vor dem äthiopischen Konsulat abgeladen. Ein Meer aus Matratzen breitete sich dort mitten auf der Straße im Stadtviertel Hazmiyeh aus. Ein Bild des Chaos bot sich dar: Der Asphalt war übersät mit Koffern, Wasserflaschen und hunderten Frauen, die alles verloren haben. Monatelang harrten sie vor der Auslandsvertretung aus, denn sie wollten nur eins: zurück nach Hause.

Vor der Pandemie waren die meisten als Hausmädchen angestellt, ihre Anzahl wird auf landesweit fast 200.000 geschätzt. Bevor Corona das Land erreichte, rangen eh schon große Teile der Mittelschicht wegen einer Wirtschafts- und Währungskrise um ihre Existenz. Doch nun konnten sich viele ihre Hausmädchen, Fahrer, Kindermädchen nicht mehr leisten. Tausende Arbeitsmigranten fanden sich oft ohne einen Cent Lohn auf der Straße wieder – und ein Rückflugticket rückte in weite Ferne, denn das kostet mehrere Hundert Dollar. „Libanon hat sich in ein großes Gefängnis verwandelt, weit weg von ihrem Zuhause“, meldet die Organisation Kafia, die sich des Problems der Gewalt gegen Frauen annimmt.

Viele Migranten entsandten in den vergangenen Wochen emotionale Notrufe über die sozialen Netzwerke, flehten ihre Regierungen an, sie zurückzuholen. Doch meist bleibt die Hilfe aus. Nach der verheerenden Explosion in Beirut ließ sich ausgerechnet der äthiopische Präsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed zu einem Kommentar herab. Er teilte sein Bedauern mit, um dann zu schreiben: „Ich ermutige die in Beirut lebenden Äthiopier, sich mit dem Konsulat in Verbindung zu setzen, so können sie sich bei einer solchen Tortur gegenseitig helfen.“

Für viele in solcher Notsituation befindlichen Äthiopier klang dies wie blanker Hohn. Kürzlich konnten immerhin 94 Äthiopierinnen in die Heimat zurückfliegen, die in Beirut unter schwierigen Bedingungen festsaßen. Die Kosten wurden von Hilfsorganisationen und Einzelpersonen getragen. Eine gemeinnützige Organisation bedankte sich bei ihren Spendern: „Ihre Großzügigkeit hat dafür gesorgt, dass die Albträume dieser Frauen ein Ende haben.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Süddeutsche Zeitung“, sueddeutsche.de

Schlagwörter: Äthiopien, Gastarbeiter, Corona, Pandemie, Covid-19, gestrandet, Internierungslager, Heimreise, Rückkehr, Arbeit, Arbeitsrechte, Sklaven, Sklaverei, Migranten, Rassismus, Rückflugticket, Hausmädchen, Fahrer, Bauarbeiter, Löhne, Krise