Uganda: Erster Schultag nach 83 Wochen

 
Meldung vom 14.01.2022

Einen so strengen Lockdown wie in Uganda gab es nur in wenigen Ländern. Die Schulen waren hier wegen der Pandemie fast zwei Jahre am Stück geschlossen. Jetzt haben sie wieder geöffnet: Viele Kinder werden aber nicht zurückkehren. In der Pandemie sind sie dazu gezwungen, für den Lebensunterhalt der Familien mit anzupacken.

Am Montag (10.01.2022) öffnete Uganda wieder die Bildungseinrichtungen: Kindergärten, Schulen, Universitäten. Über 15 Millionen Kinder und Jugendliche kehren seitdem landesweit in die Klassenzimmer zurück. Für Ugandas Schulöffnung wurde seit Monaten geplant. Die Herausforderungen sind riesig. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist an die ein oder andere Bildungseinrichtung gebunden: von der Babykrippe zur Universität. Uganda verfügt über eine der jüngsten Bevölkerungen und eine der höchsten Geburtenraten weltweit. Wenn nun alle Einrichtungen gleichzeitig ihre Tore wieder öffnen, ist Chaos programmiert.

Kilometerweit stehen daher am Montag in Kampala die Autos vor den Schulgebäuden Schlange, vor allem vor den großen Internaten mit tausenden Schülern. Kinder und Eltern haben Koffer, Matratzen, Bettdecken und Waschbehälter auf dem Rücken oder dem Kopf durch den Stau geschleppt, um die Schulgebäude zu erreichen.

Noch vor kurzem sah es in Uganda ganz anders aus: Knapp 20 Schüler zählten laut mit, als der Lehrer mit einem Stück Kreide an die Tafel schrieb. An dem Tag wurden die römischen Zahlen vorgenommen. Der Lehrer wollte lieber anonym bleiben, denn sein Unterricht in einem kleinen Schuppen neben seinem Haus war eigentlich untersagt. „Wir verstecken uns hier. In einer richtigen Schule hätten wir Lehrmaterial an den Wänden. Aber hier haben wir nur die nackten Mauern. Der Boden ist nicht zementiert, das heißt, die Sandflöhe können uns attackieren“, erklärt er. Eigentlich ist er Direktor einer Privatschule, aber die ist – wie alle anderen Schulen in Uganda – seit dem Ausbruch der Corona-Krise geschlossen. Die Kinder in Uganda waren 83 Wochen ohne Unterricht – so viel wie in fast keinem anderen Land der Welt.

„Das Leben ist nicht mehr schön. Wir vermissen unsere Freunde, die Schule, sogar unsere Lehrer“, klagte Mariam leise. Die 13-Jährige ist eine der Glücklichen, die während des Lockdowns am heimlichen Unterricht teilnehmen konnte. Die meisten Kinder in Uganda mussten einfach zu Hause bleiben. Viele wurden in die alltäglichen Arbeiten in der Familie eingespannt, damit sie sich über Wasser halten konnten.

Dabei sind die Zahlen schon jetzt überaus alarmierend: Rund 90 Prozent der Zehnjährigen können nicht richtig lesen. „In Subsahara-Afrika konnten schon vor der Pandemie 87 Prozent der Zehnjährigen keinen einfachen Satz lesen und verstehen. Heute sind es über 90 Prozent. Wir haben eine schwere Lernkrise, die jetzt zu einer Lernkatastrophe wird“, berichtet Abhiyan Jung Rana vom UN-Kinderhilfswerk UNICEF.

Doch nun ist der Startschuss gefallen: In Uganda fahren die Schulen jetzt wieder den Betrieb hoch, die meisten präsentieren sich frisch gestrichen und repariert. Aber damit ist es nicht getan. Schülerin Mariam ist sich sicher, dass sie viele ihrer Mitschüler trotzdem nie wiedersieht. „Einige meiner Freundinnen sind schwanger geworden, andere haben jetzt einen Job oder haben geheiratet. Sie haben Angst, zurück zur Schule zu kommen und von den anderen Schülern vielleicht ausgelacht zu werden.“

Geschätzt jedes dritte Kind ist einfach aus dem Schulsystem herausgefallen und wird nie wieder ein Klassenzimmer betreten. Auch, weil die Eltern die Schulgebühren nicht mehr aufbringen können. Die Pandemie hat Uganda stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Wirtschaft ist abgestürzt, Betriebe mussten schließen und ihre Mitarbeiter entlassen.

Auch die Lehrer konnten ihre Existenz nur sichern, indem sie sich andere Jobs gesucht haben. „Um sie nach zwei Jahren zurückzuholen, muss man sie erstmal neu trainieren. Damit sie wieder lehren können“, betont Filbert Baguma von der Lehrergewerkschaft UNATU. Viele werden nicht in den notorisch vernachlässigten, schlecht bezahlten und unsicheren Schulbetrieb zurückkehren. Damit werden den lernwilligen Kindern weitere Chancen geraubt.

„Wir sollten nicht von einer verlorenen Generation sprechen, sondern lieber dafür sorgen, dass alle Kinder zurück an die wieder offenen Schulen kommen“, meint Abhiyan Jung Rana von UNICEF aber. „Wenn sie nicht lernen können, dann finden sie auch keine guten Jobs und verlieren die Chance auf ein gesundes und glückliches Leben.“

Nach einer aktuellen Berechnung des Kinderhilfswerks zusammen mit der UNESCO und der Weltbank wird den Kindern weltweit rund 17 Billionen Dollar Lebenseinkommen durch die Schulschließungen genommenmit schweren Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Heimatländer.

Doch die Kinder bewahren sich ihre Hoffnung: Mariam ist fest entschlossen, den Anschluss an ein gutes berufliches Einkommen nicht zu verlieren. Sie freut sich auf die Schule. „Ich bin besonders gut in Naturwissenschaften. Ich möchte Krankenschwester werden und anderen Menschen helfen.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de