Haiti: Einblicke in eine andere Welt (Reisebericht)

Bericht vom 20.06.2013


Viele kleine Patienten warten auf Behandlung.


Anfang März reisten zwei Projektbetreuer nach Haiti, um das von uns geförderte Klinikprojekt zu besuchen. Im folgenden Bericht hat einer von ihnen seine vielfältigen Eindrücke verarbeitet:

Die Konfrontation mit diesem Übermaß an Armut und Leid auf Haiti verschlägt mir auch jetzt wieder die Sprache. Es scheint, als habe sich lediglich im Stadtbild von Port-au-Prince hier und da eine kleine Veränderung zum Guten eingestellt, seit ich vor drei Jahren das letzte Mal hier war. Traurigerweise sind solche Verbesserungen kaum von Nutzen für die breite Mehrheit der 3,7 Mio. Menschen, deren Alltag immer noch der härteste in der gesamten westlichen Welt ist.

Stunde um Stunde bahnt sich unser Wagen seinen Weg durch die völlig verstopften Straßen und Trümmerlandschaften der Hauptstadt. Dann geht es in Richtung Norden, durch öde und vertrocknete Landstriche, vorbei an den armseligen Slums entlang der Schnellstraße. Als letzte Herausforderung kurz vor dem Ziel passieren wir eine steil gewundene, ausgewaschene Landstraße hinauf in die kleine, aber lebendige Ortschaft Cazale. Als sich dort das Tor zum Klinikgelände hinter uns schließt, finden wir uns in einer anderen Welt wieder: Eine Atmosphäre heilsamer Ruhe und wohltuender Ordnung liegt über diesem Ort. Es ist ein Gefühl als käme man direkt aus dem Sturm in einen geschützten Hafen, in eine Oase der Ruhe inmitten von Chaos und Zerstörung.

Wir werden willkommen geheißen und in einem ersten Rundgang kurz durch Verwaltungsräume, Apotheke und Notaufnahme geführt. Anschließend besuchen wir die Kinderklinik, wo die Kinder stationär behandelt werden, die zu schwach sind für eine ambulante Therapie. Vierzehn Kinder liegen in einem Raum auf ihren Betten. Die außergewöhnlich tiefe Stille hier läßt mir für einen Augenblick den Atem stocken. Ich fühle mich fast wie an einem geheiligten Ort und erfahre auch bald den Grund dafür: Gestern verließ der letzte zarte Lebenshauch das fünfzehnte Kind beinahe unbemerkt, während die anderen vierzehn unter den wachsamen Augen der Krankenschwestern ruhig schliefen.

Der Tod ist hier zwar ein recht häufiger Besucher, aber er wird weder oberflächlich abgehandelt noch ganz selbstverständlich in Kauf genommen. Immer wenn ein Kind gestorben ist, werden die Mobiltelefone abgeschaltet und die Betriebsamkeit, die diesen Kampf auf Leben und Tod zwangsläufig begleitet, auf das notwendige Minimum reduziert. Damit wird der Einmaligkeit des kleinen Wesens, das gerade die irdische Welt verlassen hat, feierlich Respekt erwiesen. Alle Vorbereitungen für eine würdevolle Beisetzung werden getroffen, bevor das Pflegeteam die tägliche Arbeit wieder in vollem Umfang aufnimmt.

Über einige der wirklich unvorstellbar winzigen Babys erfahren wir, welches Schicksal sie in ihrem kurzen Leben bereits hinter sich haben, und welche Anstrengungen vonnöten sind, um sie von der Schwelle des Todes wieder ins Leben zurück zu holen. Mit kräftigenden Infusionen und spezieller Nährlösung, aber vor allem mit ganz viel Liebe versucht das Pflegeteam, den Kampf so oft wie möglich für das Leben zu entscheiden. Wir schauen in die stillen Gesichtchen und sind tief berührt vom Anblick der kleinen ruhenden Gestalten, deren Überlebenskampf nach außen kaum sichtbar wird, sondern eher in ihrem Inneren tobt. Während wir langsam durch den Raum gehen, nehmen mich ihre großen dunklen Augen auf seltsame Art gefangen. Wie viel verheißungsvolle Schönheit und Sanftheit steht hier auf dem Spiel ... es gibt keine Garantie für das Leben, aber es gibt Hoffnung!

Behutsam nehme ich ein kleines Mädchen auf den Arm. Sie ist schon neun Monate alt, aber leicht wie eine Feder und zu schwach, um sich zu wehren oder etwa die unverhoffte Aufmerksamkeit zu genießen. Ihr Blick wandert langsam über mein Gesicht. Ihre Arme und Beine sind kaum dicker als ein Daumen, und ihr Hals kann das Köpfchen nicht tragen. Ich stütze es mit meiner Hand, wir sehen einander an, und mein Herz beginnt zu schmelzen. Wenige Meter hinter den Kliniktoren pulsiert das Leben auf den Straßen Haitis. Hier drinnen, in diesem Raum, scheint die Zeit für einige Augenblicke still zu stehen. Noch Tage später ertappe ich mich dabei, wie meine Gedanken zum Blick dieses kleinen Mädchens zurück wandern, der gleichzeitig so nachdenklich, neugierig und lebendig war.

Von weit her bringen Mütter ihre Kinder aus den Bergen Haitis in unsere Klinik und nehmen dabei nicht selten 10 bis 14 Stunden Fußweg auf sich. Sehr oft sind sie dann selbst ebenso geschwächt und ausgezehrt wie ihre Kinder. Dennoch müssen sie wieder heimkehren, um die übrige Familie zu versorgen. Je nach Grad der Unterernährung grenzt es an ein Wunder, mit welch einer bescheidenen Menge an Nahrung – spezielle Milchprodukte, Eier und medizinische Proteinpräparate – es möglich ist, einem Kind Gesundheit, Fröhlichkeit und Kraft wieder zu geben!

Wir erfahren, dass viele Familien gar nicht wissen, wie kostbar Hühnereier als Proteinlieferanten für ihre Kinder sind. Deshalb wandert ein Huhn meistens eher in den Suppentopf, als dass es Eier legen darf. Aus diesem Grund wurde nun mit einem Aufklärungsprogramm begonnen, das die Menschen über die Bedeutung von Hühnereiern zur Ernährungsverbesserung informiert. Eier sind eine relativ preiswerte Nahrungsergänzung. Um vier Kinder vier Wochen lang täglich mit einem Ei zu versorgen, sind nur 15 Euro notwendig.

Ganz herzlichen Dank, liebe Freunde, dass Sie unseren Kampf für das Leben dieser Kinder mit Ihrer Spende unterstützen!