Äthiopien: Nicht müde werden, zu helfen – der Kinder wegen! (Einsatzbericht)

Bericht vom 31.05.2014


Der erfreulichste Teil beim Einsatz – die Ausgabe der Hilfsgüter.

Im Mai dieses Jahres begleitete Teammitglied M. Wilson unseren Projektleiter Derek zu einem Hilfseinsatz in den südlichsten Teil Äthiopiens. Wie schon viele Male zuvor hat auch diese Reise die einsatzerprobten Männer nicht unberührt gelassen. Im folgenden Bericht schildern beide ihre bewegenden Eindrücke:

M. Wilson: Vor jedem Einsatz stelle ich mir immer wieder die Frage: Warum gehst Du eigentlich nach Äthiopien? Und immer wieder gibt es nur eine Antwort: Der Kinder wegen! Es sind die Kinder – unzählig viele Kinder, die dem Leid hilflos ausgeliefert sind, die der Unterernährung und den Krankheiten nichts entgegen zu setzen haben, weil ihr Immunsystem zusammengebrochen ist.

Es zerreißt mir das Herz, wenn ich ein zweijähriges Mädchen auf dem Arm halte, das kaum die Größe eines Neugeborenen hat und dessen Haut faltig von dem knochigen Körperchen herabhängt. Es treibt mir die Tränen in die Augen, wenn ich auf einen Verteilungsplatz komme, wo zahllose Babys apathisch in den Armen ihrer Mütter liegen, zu schwach, um ihren Kopf zu heben, ja sogar zu schwach, um zu weinen. Die vielen Einsätze der vergangenen Jahre sollten mich abgehärtet haben. Gleichwohl gelingt es mir nicht, mich für diesen Augenblick zu wappnen.

Noch vor dem ersten Blickkontakt höre ich an der Verteilungsstelle das Weinen verzweifelter Mütter. Ich rieche die Krankheit und spüre die aufsteigende Übelkeit: Hier leiden und sterben Kinder!

Und jedes Mal hilft mir nur ein einziger Gedanke weiter: Wir sind gekommen, um dieses Leiden zu lindern. Aber es ist unsagbar schwer. Ich knie neben einer schluchzenden Frau, die mich nötigt, ihr krankes Baby zu halten. Sofort dringt ein fauliger Geruch in meine Nase und flutet regelrecht meine Lungen. Unwillkürlich halte ich mir die Hand vor Mund und Nase und zwinge mich, den Brechreiz zu unterdrücken. Der Geruch begleitet mich den ganzen Tag. Und Mütter wie diese mit ihren Kindern sind der Grund, warum wir hier sind.

Gemäß unserem Einsatzplan besuchen wir in der Region Sidamo vier Dörfer, die bisher weder von Hilfsorganisationen noch von staatlicher Seite Hilfe erhalten. Man sollte meinen, dass nach Jahrzehnten von Hilfseinsätzen in Äthiopien solches Elend nicht mehr existiert. Leider ist das weit gefehlt: Rund 80 % der äthiopischen Kinder, die an Unterernährung und den daraus resultierenden Krankheiten leiden, bekommen keine Nahrungsmittelhilfe und keine medizinische Behandlung.

Und genau diese Kinder brauchen unsere Hilfe: Dank der Fürsorge und Treue unserer Spender konnten wir während unseres Aufenthaltes insgesamt 90 Tonnen Weizen an die hungernden Menschen in den drei Regionen Borena, Gedeo und Sidamo verteilen. Die Entscheidung, welchen Familien zuerst geholfen werden muss, ist schwierig und wird deshalb schon vor der Verteilung getroffen. Dr. Henoc, der Arzt in unserem Team, und seine Helfer besuchen die Dörfer vorab. Sie stellen fest, welche Mütter mangelernährt und deshalb nicht in der Lage sind, ihre Babys zu stillen, und in welchen Familien die am schlimmsten betroffenen Kleinkinder leben.

Nachdem die Familien ihre Ration in Empfang genommen haben, wird der Weizen zu Broten verbacken – jeder einzelne Laib ist dort in der Einöde eine wertvolle, komplette Mahlzeit für eine siebenköpfige Familie.

Derek: Die Getreidesäcke für das nächste Dorf sind abgeladen, 40 an der Zahl, je ein guter Zentner Weizen. Jede Familie (in den vier Dörfern der Region Sidamo sind es zusammen 600) bekommt zwei Säcke, ausreichend für mehr als 300 Mahlzeiten. Viele Dutzend Mal in den letzten 20 Jahren haben mein Freund und ich solche Einsätze durchgeführt – leichter sind sie uns nicht geworden. An ein solches Ausmaß von Leid, insbesondere wenn es Kinder betrifft, können wir uns nicht gewöhnen. Worte reichen nicht aus, um zu erklären und zu verstehen, was diese Menschen fühlen und durchmachen. Dies ist eine völlig andere Welt, die man kaum beschreiben kann.

Bei diesem Einsatz treffen wir auffällig viele kranke und unterernährte Mütter an – keine gute Voraussetzung für ihre Kinder. Ich stehe einer Mutter gegenüber, deren Körper nur noch aus Haut und Knochen besteht – in diesem Augenblick nehme ich wahr, dass mein Freund neben mir um Fassung ringt. Keuchend versucht er, die Übelkeit zu überwinden. Es ist schwer, sich von diesem unmenschlichen Leid nicht überwältigen zu lassen.

Ein kleines Mädchen sitzt vor mir. Es stützt den Kopf in die Hand und sieht mich versonnen an: Was sie wohl gerade denkt? Wie wird ihre Zukunft aussehen? Gibt es überhaupt Hoffnung für sie? Was mir die nötige Kraft verleiht, um weiter zu machen, ist der Gedanke, dass wir ihr mit unserer Hilfe diese Hoffnung geben können, dass wir eine Veränderung zum Guten bewirken können. Wir arbeiten schweigend, kaum ein Wort fällt im Team, hin und wieder sehen wir einander wortlos in die Augen. Zitternd und mit gesenktem Kopf tritt mein Freund ein paar Schritte zur Seite, bis er sich wieder gefangen hat.

Dann ist auch der letzte Sack verteilt, mit vereinten Kräften schleppen ihn die größeren Kinder mühsam, aber glücklich, in die Hütte der Familie. Wir treten die Heimreise an – körperlich ausgelaugt und mit schwerem Herzen. Gleichzeitig sind wir sehr froh, dass wir wieder einmal vielen hundert Menschen aus der schlimmsten Not helfen konnten!

Danke, liebe Spender, dass Sie zu uns stehen, dass Sie mit uns gemeinsam diesen Kindern und ihren Familien neue Hoffnung geben. Ihre Spende macht den Unterschied!