Südsudan: Unsicheres Leben voller Entbehrungen (Einsatzbericht)

Bericht vom 06.01.2015


Alles, was die Flüchtlinge noch haben, passt auf eine Decke.


Fast alle Flüchtlingskinder sind gefährlich unterernährt.

Ende letzten Jahres reiste unser Projektleiter Derek wieder in den Südsudan, nach Somalia und nach Äthiopien. Er begleitete dort persönlich die Hilfsgüterverteilungen, die er zuvor mit seinen bestens erprobten einheimischen Helfern organisiert hatte. Hier schildert er einen Einsatztag im Süden des Südsudan:

Die Tür unseres kleinen Flugzeugs öffnet sich, und ein Schwall brütend heißer Luft „begrüßt“ uns – willkommen im Südsudan! Wir steigen aus und überqueren zu Fuß die Landebahn. Überall herrscht Geschäftigkeit: Mitarbeiter der Vereinten Nationen, des Welternährungsprogramms, Soldaten, Militärflugzeuge. Es summt und brummt auf dem Gelände wie in einer Filmszene – ist aber Wirklichkeit.

Schnell fordert die Hitze ihren Tribut. Der Schweiß fließt in Strömen, und nach kurzer Zeit ist mein Hemd durchnässt. Anders als sonst werden alle Passagiere abseits der Ankunftshalle in ein großes weißes Zelt mit dem Schriftzug der Weltgesundheitsorganisation gebracht. Drinnen erwarten uns Leute in seltsam anmutenden Schutzanzügen, Gesichtsmasken und Handschuhen – Ebola-Kontrolle! Mein erster Gedanke ist Flucht, aber es gibt kein Entkommen. Wir werden angewiesen, unsere Hände zu desinfizieren. Anschließend müssen wir ein langes Formular ausfüllen und uns in einer Reihe aufstellen. Eine einzige Krankenschwester prüft jedes Formular, blättert jeden Reisepass von der ersten bis zur letzten Seite durch und misst die Köpertemperatur jedes einzelnen Passagiers.

Nach endlos scheinendem Warten dürfen wir in die chaotische Ankunftshalle, um die Einwanderungsformalitäten zu klären und die Gepäckkontrolle zu passieren. Der Flughafen ist klein und schmutzig. Die Hitze und der üble Geruch sind kaum zu ertragen, die Menschen drängeln und schubsen. Ich muss ruhig bleiben, tief durchatmen, Geduld haben.

Irgendwann geht es weiter, noch einmal anderthalb Stunden Flugzeit bis zu der kleinen Stadt Leer im Süden. Als wir uns nähern, sehe ich unter mir ganze Dörfer unter Wasser stehen – es gab heftige Überschwemmungen und große Schäden an den Hütten. Wir landen unbeschadet auf der holprigen Lehmpiste. Im Nu ist die kleine Maschine umringt von Menschen: Männer, Frauen und Kinder, breit lächelnd, das tut gut! Die Dorfältesten versammeln sich und begrüßen uns. Es folgt eine längere Zeit des Schulterklopfens, Händeschüttelns und herzlicher Willkommensworte.

Ich schaue mich um und bemerke viele Kinder in Lumpen, einige sind gänzlich unbekleidet. Der verräterische Rotschimmer in ihren Haaren ist ein untrügliches Zeichen für ernsthafte Unterernährung. Im umliegenden Buschland sind viele Notbehausungen verstreut. Ich bin überrascht, wie wenig sich hier seit der Unabhängigkeit des Südsudan geändert hat, obwohl die nahe gelegene Hauptstadt sich rasant entwickelt. Juba ist eine betriebsame Stadt, in die Millionen Dollar gepumpt werden. Es gibt neue Straßen, Banken, Wohngebäude, Geschäfte und Hotels und ein funktionierendes Mobilfunknetz. Im Vergleich dazu herrschen in Leer noch mittelalterliche Zustände.

Hier werden wir heute zwei Flugfrachten Hilfsgüter abladen und an die bedürftigsten Bewohner verteilen. Wir machen einen Rundgang durch das Marktgelände. Am Treiben dort lässt sich gut ablesen, wie es um die lokale Wirtschaft bestellt ist. Der Markt ist ruhig, viele Stände sind leer. Einige Händler bieten ihre Waren an, und es gibt auch Kundschaft, aber wir vermissen die sonst übliche Betriebsamkeit. Alle Bewohner, mit denen wir sprechen, erzählen uns dieselbe Geschichte: von den Angriffen auf Leer, wie sie um ihr Leben gerannt sind und sich lange Zeit in den Sümpfen versteckt haben. Wer den Angreifern in die Hände fiel, wurde gefoltert, gehängt oder erschossen. Die Straßen sind gesäumt mit verbrannten Autowracks, darunter auch zwei Panzer, die bei einem Angriff auf die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Im Umfeld der kleinen Stadt kampieren Hunderte Flüchtlinge, die bei der Rückkehr ihre Häuser und Hütten zerstört vorfanden.

Mit diesen Männern und Frauen sitze ich zusammen. Ich schaue in ihre Gesichter, während sie mir von ihren schrecklichen Erlebnissen berichten. Ich versuche zu erfassen, was sie durchgemacht haben. Manche flüchteten fast 50 Kilometer weit in den Busch, bis die Angreifer die Verfolgung aufgaben. Ich frage sie, ob sie etwas mitnehmen konnten – Moskitonetze, Decken oder Ähnliches. Sie verneinen: „Wir haben auf der Erde geschlafen, wurden von Insekten zerstochen und mussten das Wasser aus dem Sumpf trinken.“

Einen der Männer frage ich, was sie als Nächstes tun wollen, natürlich in der Erwartung, dass sie mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser beginnen werden. Aber er erwidert: „Wir bereiten uns auf die nächste Flucht vor.“ Dann erklärt er mir, dass bald die Trockenzeit beginnt, und dass die Angriffe der feindlichen Parteien wetterabhängig erfolgen. Panzer und andere Militärfahrzeuge können nur in der Trockenzeit im Südsudan fahren, nicht aber in der Regenzeit. Ich bin tief bewegt von der Widerstandskraft und Bescheidenheit dieser Menschen. Sie haben ihre Hoffnung immer noch nicht aufgegeben. Unfassbar, dass die Kinder noch fröhlich lachend im Sand spielen können.

Die zweite Maschine mit Hilfsgütern trifft ein, wir laden ab und verteilen alles. Einige Familien flehen uns an, ihre Kinder mitzunehmen, damit wenigstens sie in einem Flüchtlingslager in Sicherheit sind.

Ein Sprecher der Flüchtlinge sagt zu uns: „Wir sind froh, dass ihr heute zu uns gekommen seid. Ihr habt uns wieder Hoffnung gegeben. Wir wissen, dass wir nicht allein sind und dass ihr uns nicht vergessen habt. Dafür danken wir Euch sehr!“ Zu Dutzenden winken sie uns hinterher, als unsere Maschine abhebt. Aus der Luft wird das ganze Ausmaß an Zerstörung sichtbar, das Krieg und Überschwemmung in dieser Stadt angerichtet haben.

Auf dem Rückflug denke ich über die nächste Herausforderung nach: Wie kann ich das Erlebte wirksam und verständlich beschreiben? Wie erkläre ich die Tragik dieses Krieges und das Leid der Menschen hier, um es denen nahe zu bringen, die wie ich in einer völlig anderen Welt leben? Ich habe das Elend hier tatsächlich erlebt. Ich war mitten drin, habe es gerochen, gesehen und gehört. Mein Problem besteht darin, dass die meisten Menschen im Westen tagtäglich mit zu vielen Schilderungen von Krieg und Leid konfrontiert werden. Alle Medien bringen diese Nachrichten. Wie soll ich also mein Erleben so nachvollziehbar machen, dass es nicht nur eine weitere von vielen Kriegsgeschichten bleibt?