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Syrien: Die verlorenen Kinder des Krieges (Einsatzbericht)

Bericht vom 18.08.2020


Dieses Mädchen war zwölf, als es sein Bein verlor, das andere wurde stark verkrüppelt.


Welche Zukunft haben diese Kinder?


Das ist Ranya, ab der Hüfte abwärts gelähmt und stark traumatisiert!


Kinderprothesen – Bei diesem Anblick wird das Leid des Kriegs anfassbar!

Bei einem seiner Einsätze an der syrisch-türkischen Grenze zur Versorgung syrischer Flüchtlinge wurde Gebende Hände-Projektleiter Derek H. von seiner Frau Sandra begleitet. Im nachfolgenden Bericht schildert sie das bei dieser schwierigen Mission Erlebte aus ihrer Sicht:

Die Türkei: antike Geschichte, biblische Orte, farbenfrohe Stoffe, Kebab, Baklava und Meze - orientalische Pracht. Das sind die Bilder, die uns in den Sinn kommen, wenn wir an die Türkei denken. Das ist berechtigt, dieses Land hat von all dem etwas – aber dahinter verbirgt sich auch unbeschreibliches Leid: Der unsägliche Schmerz in den Herzen, Gedanken und Körpern von unzähligen syrischen Kindern! Von Kindern, die vor Bomben, Feuergefechten und Terror fliehen mussten. Sie werden NIEMALS ein normales Erwachsenenleben führen können. Das Recht, in ein solches hinein zu wachsen, wurde ihnen auf brutale Weise in diesem nicht enden wollenden Krieg entrissen.

Mir war bewusst, dass sich unser Einsatz von allen anderen, die ich bisher erlebt hatte, unterscheiden würde. Dieses Mal würden wir nicht mit Tausenden fadenscheiniger Plastik-Zelte konfrontiert werden, nicht mit dem schlammigen Nirgendwo, in dem vertriebene Menschen versuchen, irgendwie zu überleben und dabei ihre Würde zu wahren. Auch nicht mit Eltern, die sich ihren Kindern zuliebe stoisch gefasst geben, aber tief im Innersten ihrer Seelen vollkommen traumatisiert sind. Bei diesem Einsatz würden wir einzelne Familien aufsuchen, die mit ihren Kindern zwar vor dem Krieg in Syrien in eine türkische Grenzstadt geflohen waren, aber dort eine ordentliche Unterkunft gefunden hatten. Deshalb hatte ich in meiner typisch westlichen Denkweise wohl angenommen, dass der Einsatz keine große Sache sein würde: „Wird schon gehen, alle haben ja hier ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch.“ Leider war ich nicht im Geringsten vorbereitet auf die völlige Gebrochenheit, die mir begegnen würde! Eine Gebrochenheit, die – insbesondere bei den Kindern – die Fratze dieses blutigen Syrienkrieges in ihrer ganzen Hässlichkeit zeigte.

Wir besuchen viele Familien mit verstümmelten Kindern. Wo wir vor der Tür die Schuhe ausziehen – stehen bei ihnen die Rollstühle. In einer der ersten Familien treffen wir auf Ranya*, ein 16–jähriges hübsches Mädchen, das kerzengerade auf seinem Bett sitzt. Aber von der Hüfte abwärts ist Ranya gelähmt. Ihre Mutter trägt nur noch Schwarz, seit sie in diesem Krieg nicht nur ihren Ehemann, sondern auch noch zwei ihrer Kinder verlor. Die schwarze Kleidung verbirgt zwar ihren Körper, den abgrundtiefen Kummer in ihren Augen kann sie nicht verbergen. Ranya berichtet uns, welche Umstände zu ihrer schweren Verletzung geführt haben. Sie war wie gewöhnlich auf dem Weg zur Schule, als sie von einem Geschoss in den Rücken getroffen wurde. An diesem Punkt seines Berichts bekommt das Mädchen ganz plötzlich einen Anfall. Die furchtbaren Erlebnisse gehen so tief, dass die bloße Erinnerung daran unerträglich wird. An diesem Punkt schaltet Ranyas Gehirn gewissermaßen ab, Verstand und Seele verfallen in eine Schutzstarre.

Ihre Mutter, die dieses zerstörte, trostlose Leben ihrer Tochter mitträgt, weiß, was in solchen Momenten zu tun ist, sie hat das schon oft erlebt. Nach einigen Minuten fällt Ranya in einen tiefen Schlaf. Spontan umarme ich ihre Mutter, eine Zeit lang halten wir einander schweigend: zwei Frauen in der tiefen Verbundenheit des Mutterseins, hier braucht es keine Worte. Doch ihre Tochter ist für immer gezeichnet, meinen Kindern hingegen geht es gut – es könnte auch ganz anders sein… Unsere Herzen sind voller Schmerz über die Verwüstung, der ganze Raum ist von Schweigen erfüllt. Wir verabschieden uns bald, fühlen uns erschöpft und ausgelaugt, ja fast schon schuldig, dass wir diese Hölle im Gegensatz zu ihnen hinter uns lassen können.

All den traumatisierten oder verstümmelten Kindern, die wir besuchten, ist eines gemeinsam: die wächserne Blässe ihrer Gesichter. Die älteren unter ihnen sind außerdem gekennzeichnet durch den leeren Blick absoluter Hoffnungslosigkeit. In diesen paar Tagen in der Türkei bekam das Wort HOPE (Hoffnung) eine völlig neue Bedeutung für mich. Das Wort ist kurz, besteht nur aus vier Buchstaben – aber wo immer die Hoffnung fehlt, gibt es nur noch Dunkelheit und Schwermut, Verzweiflung und Ernüchterung. Nicht umsonst werden der Hoffnung Begriffsentsprechungen wie Erwartung, Bestreben, Sehnsucht zugeordnet. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe sagte einst: „In allen Dingen ist besser hoffen als verzweifeln.“

Nun, für die jungen Leute aus Syrien ist das zu spät, sie haben weder Pläne noch Erwartungen, es gibt für sie kein Licht am Ende ihres Tunnels. Das Einzige, womit wir ihnen ein wenig Trost bieten können, ist, ihnen unsere Liebe zu zeigen, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht vergessen sind, dass ihr Schmerz und ihre Traumatisierung auch Menschen jenseits ihrer Wohnungstüren bekannt sind. Wir können ihnen zeigen, dass wir zugehört haben. Darin liegt ihre einzige Hoffnung.

Ein weiteres Zitat von Goethe lautet: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.“ Fangen wir an zu tun!



Schlagwörter: Syrien; Krieg, Bürgerkrieg, Kinder, Traumatisierungen, Verkrüppelungen, Flüchtlinge, Luftangriffe, Bombardierungen, Kriegstraumata, Türkei, Baschar al-Assad