Philippinen: Pille gratis

Meldung vom 18.01.2017

Die Philippinen leiden unter rasantem Bevölkerungszuwachs. Die vielen Menschen werden zur Existenzfrage. Seit 2012 wurde per Gesetz die Gratisverteilung von Verhütungsmitteln an Arme ermöglicht – trotz erbittertem Widerstand der Kirche.

Die Gesundheitsstation von Montalban, einer Armensiedlung vor den Toren Manilas, ist voller Mütter mit kleinen Kindern. In dem Flachbau klettern der Geräuschpegel und die schwülen Temperaturen an diesem Mittag bis auf ein Maximum. Bei uns bekommen Frauen die Pille, Kondome und die Dreimonatsspritze gratis“, sagt die medizinische Assistentin Analyn Borbe. Mehr als die Hälfte der gebärfähigen Frauen auf den streng katholischen Philippinen greife inzwischen zu Verhütungsmaßnahmen.

„Wir müssen aber noch besser aufklären, viele Frauen verstehen nicht, dass sie die Pille regelmäßig nehmen müssen, damit sie wirkt“, erläutert die Krankenschwester. „Die Pille ist entscheidend im Kampf gegen die Armut“ – das müsse endlich auch die Kirche verstehen.

Beharrlich sträubten sich die Bischöfe gegen das „Gesetz zur Verantwortlichen Elternschaft und Reproduktionsgesundheit“ von 2012, das die Gratisabgabe von Verhütungsmitteln an arme Frauen ermöglicht. Das Oberste Gericht wurde eingeschaltet und erklärte es 2014 bis auf wenige Einschränkungen für grundsätzlich verfassungskonform. In dieser Woche ordnete Staatspräsident Rodrigo Duterte nochmals an, dass das Gesetz strikt und flächendeckend zur Anwendung kommen soll.

Nach katholischer Lehre wird nur natürliche Familienplanung in Form von Enthaltsamkeit und Kalendermethode akzeptiert. Aber die sei viel zu riskant und die Frauen könnten die Temperaturmessung nicht in ihren Alltag integrieren oder schlichtweg nicht richtig bewerten, berichtet Borbe aus Erfahrung. „Und wie sollen sich Paare verhalten, bei denen ein Partner auswärts arbeitet und nur alle paar Monate kurz nach Hause kommt?“

Mit durchschnittlich 3,1 Kindern pro Frau weist der Inselstaat das stärkste Bevölkerungswachstum Südostasiens auf. Bis 2050 könnte die Einwohnerzahl von 100 auf 150 Millionen steigen. Einst wurden die vielen Kinder in den bäuerlichen Gesellschaften in der Großfamilie aufgefangen; in urbanisierten Entwicklungsländern dagegen nehmen soziales Elend und Armut zu.

Arbeitsmarkt, Bildungssystem und sozialer Wohnungsbau kommen dem Bevölkerungswachstum nicht hinterher – schon gar nicht auf den Philippinen, die die Ärmsten der Armen schon lange abgekoppelt und fallen gelassen haben. Jeder Vierte führt eine Existenz unter der Armutsgrenze. Rund zehn Millionen Philippiner sahen keinen anderen Ausweg, als im Ausland Arbeit zu suchen.

Eine kleine Elite aus etwa 20 Familien, die den größten Teil der Wirtschaft an sich gerafft hat, und Vertreter der dünnen Mittelschicht berufen sich gerne auf die Bibel. Doch statt Chancengleichheit und gerechter Verteilung regieren Korruption und Vetternwirtschaft. Ausbeuterlöhne, hohe Arbeitslosigkeit und Wohnungselend tun ihr Übriges. In den Slums, wo jeder Dritte jünger als 15 Jahre ist, sehen sie auf zu Duterte, der sich als Heiland und Grobian mit brutalen Methoden gegen die grassierende Drogenkriminalität inszeniert.

In der Ambulanz von Montalban harrt Jorelyn Mariano auf eine Hormonspritze. Die 24-Jährige trägt ihr viertes Kind durch die Gegend. Sie alle seien ein Geschenk Gottes, versichert die zarte Frau. Aber nun müssen sie zu sechst auf 20 Quadratmetern hausen. Verheiratet ist Jorelyn nicht – bei aller Religiosität keine Seltenheit. Ihr Partner verdingt sich als Tagelöhner auf dem Bau. Wenn nichts schief läuft, verfüge die Familie umgerechnet über knapp 30 Euro pro Woche. Dem Priester wolle sie sich zu diesen Themen nicht anvertrauen. „Das wäre mir peinlich.“

Dutzende Kilometer stadteinwärts schaut Senatorin Risa Hontiveros von ihrem Büro über die südlichen Ausläufer Manilas. Baukräne bestimmen die Silhouette. Sie türmen immer neue Hochhäuser auf, für jene, die ihren sicheren Platz unter den 23 Millionen Einwohnern gefunden haben. Eineinhalb Jahrzehnte stritten liberale Politiker mit konservativen Gegnern und der Kirche um das Verhütungsgesetz, meint Hontiveros. Laut Umfragen sind drei Viertel der Bevölkerung für die Gratisabgabe von Pille und Kondom an Arme – dabei werde auch die hohe Müttersterblichkeit bedacht.

Für Hontiveros, damals Abgeordnete und Mit-Urheberin des Gesetzes, handelte es sich schlicht um ein Gebot von Gerechtigkeit. „Reiche Frauen, die sich Verhütungsmittel leisten können, bekommen im Schnitt zwei Kinder“, weiß sie. „Von armen Müttern wissen wir, dass die meisten nach zwei oder drei Kindern eigentlich auch nicht mehr schwanger werden wollen.“ Tatsächlich würden es dann aber sechs, sieben oder mehr. Diese Familien schafften es nicht mehr, aus dem Kreislauf der Armut herauszutreten.

Selbst Mutter von vier Kindern, offenbart sie sich als praktizierende Katholikin, die immer auf die natürliche Verhütungsmethode zurückgegriffen habe. Mit ihrer Kampagne gegen das Gesetz sei die Kirche damals zu sehr in den politischen Bereich eingedrungen. Bis heute pochen Kommunalregierungen auf die kirchliche Position – und unterbinden die Gratisverteilung der Pille.

Einen Eklat löste ausgerechnet Papst Franziskus aus, als er 2015 auf seinem Rückflug von Manila betonte, Katholiken sollten sich nicht vermehren „wie die Karnickel“. Den saloppen Vergleich bewerteten einige als eine Distanzierung vom kirchlichen Verbot von Verhütungsmitteln.

Am Bischofssitz von Manila nahe der alten Kathedrale aus spanischen Kolonialzeiten will man das richtigstellen. „Franziskus ging es um die katholische Pflicht zur verantwortlichen Elternschaft – von der schon Paul VI. 1968 in seiner Enzyklika 'Humanae vitae' gesprochen hat“, versichert Weihbischof Broderick Pabillo. Ehepaare sollen demnach bei ihrer Familienplanung auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen berücksichtigen – „aber nicht indem der Staat die Frauen mit Chemie und Hormonen vollpumpt“.

Für Pabillo hat sich die ganze Diskussion längst in eine völlig falsche Richtung bewegt. In Kindern vor allem eine wirtschaftliche Belastung zu sehen, werde der Schönheit von Familie nicht gerecht. „Es gibt nicht zu viele Kinder, sondern zu wenig Chancen und Gerechtigkeit.“ Aus seiner Sicht habe der Staat mit der Gratispille vor allem eines im Sinn: „Sich aus der Verantwortung stehlen“.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: domradio.de